Verhütung ist weltweit hauptsächlich “Frauensache”, dabei gehören zum Kinderkriegen immer zwei Menschen. Dennoch wird von Frauen verlangt, dass sie Kosten und mögliche Nebenwirkungen auf sich nehmen, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Seit Jahren schon wird über die “Pille für den Mann” gesprochen und dennoch wurden die Studien dazu abgebrochen, weil einige Teilnehmer über Nebenwirkungen klagten, die für Frauen ganz normaler Alltag sind. Wir entwickeln Medikamente gegen schlimme Krankheiten, Impfungen und tolle Technologien. Kann es wirklich sein, dass Verhütung für den Mann ein unmögliches Ding ist?
Franka Frei ist Journalistin, Menstruationsaktivistin und hat mit “Periode ist politisch” bereits ein sehr wichtiges und empfehlenswertes Buch veröffentlicht, in dem sie auf ein Thema eingeht, das leider immer noch zu häufig ein Tabu ist. Und das, obwohl die Hälfte der Menschheit davon betroffen ist.
Warum Verhütung auch Männersache ist
Um zu verstehen, worum es hier eigentlich geht, beginnt die Autorin ganz am Anfang und rollt die Geschichte der Verhütung von hinten auf. Während zu Beginn von Teufelszeug gesprochen wurde, war Verhütung auch mal sehr gewollt und irgendwann wieder verpönt. Letztlich lag sie aber schon immer in Frauenhänden. Während die Pille häufig als “Freiheit für die Frau” beschrieben wurde, ist sie aber ihn Wahrheit gar nicht so feministisch wie man denken mag. Letztlich waren die Leidtragenden der Entwicklung diskriminierte, nicht weiße, jüdische oder aber auch als psychisch krank kategorisierte Frauen. Der Wunsch nach gezielter Bevölkerungskontrolle und der Angst vor einer nicht weißen Bevölkerung waren die Haupttreiber der Entwicklung.
Bereits die Nationalsozialisten erforschten dieses Gebiet und führten sehr schmerzhafte und teilweise auch tödliche Experimente an Hunderten Menschen durch. Ohne diese Forschungen wäre die Zulassung der Pille so nicht möglich gewesen.
Der Autorin geht es in diesem Buch nicht darum, die Pille per se zu verteufeln. Sie hat durchaus ihre Berechtigung und ist für manche das beste Mittel. Zweifelsohne können hormonelle Verhütungsmethoden enorm wichtig für die eigene Selbstermächtigung sein. Aber in einer Welt, in der ein weißer, männlicher Blick immer noch in Medizin, Wirtschaft, Arbeitswelt und Recht als neutral gilt, wird sehr gerne unter den Teppich gekehrt, dass eine selbst bestimmte Verhütung mit vielen Privilegien verbunden ist. Sie kostet Geld, zeitliche und emotionale Ressourcen und ist unter Umständen auch mit gesundheitlichen Einbußen verbunden.
Allein der Pharmariese Bayer macht im Jahr 2019 ungefähr 681 Millionen Euro Profit mit seinen drei verschiedenen Pillenpräparaten. Ein lukratives Geschäft, an dem man natürlich gerne festhalten möchte. Ein so großer Umsatz wird bei hormoneller Verhütung für den Mann nicht erwartet, weshalb sich Forschung und Entwicklung eben auch nicht wirklich lohnt. Letztlich geht es einfach ums Geld, aber ein Stück weit auch um die passende Infrastruktur. Frauen gehen bestenfalls regelmäßig zur Gynäkologin, nehmen dort Vorsorgeuntersuchungen war und ein Pillenrezept gleich mit. Bei Männern sieht es mit Vorsorge nicht ganz so gut aus. Das männliche Pendant zur Gynäkologie ist nämlich – nicht wie vielleicht manche denken – die Urologie, sondern die Andrologie.
Ein Fachbereich, der erst in den 70er Jahren so richtig entstanden ist und bisher immer noch ein wenig beachteter Bereich der Medizin ist. Auf Andrologie kann man sich jedoch nur spezialisieren, wenn man sich zuvor für das Fachgebiet Urologie entschieden hat. Laut Ärztekammer sind bisher gerade einmal ungefähr 1700 Mediziner:innen in Deutschland diesen Weg gegangen. Expert:innen vermuten, dass dies die Verbreitung der “Pille für den Mann” erst einmal bremsen würde. Fraglich aber, wann und ob es dieses Medikament geben wird.
Franka Frei beleuchtet in ihrem Buch aber auch bisherige Versuche wie beispielsweise Wärmetherpie und wirft einen Blick in die Zukunft und zu den Möglichkeiten, die sich vielleicht noch ergeben werden. Sie spricht mit Expert:innen verschiedener Bereiche, geht auf wissenschaftliche Studien ein und liefert ein unglaublich wichtiges Buch, mit dem auch ich selbst noch einiges lernen konnte.
Fazit
Bücher wie “Überfällig” sind wichtig, um unseren Blick zu schärfen und Aufklärung zu leisten. Frei schreibt informativ und sachlich über dieses Thema, beleuchtet alle Aspekte und schenkt diesem wichtigen Thema den dringend benötigten Raum. Beim Lesen war ich oft wütend, schockiert und sprachlos. Wie immer, wenn ich Bücher dieser Art lese. Für mich eine wichtige Lektüre für alle Geschlechter, die sich bisher vielleicht nicht umfassend genug damit auseinandergesetzt haben. Denn Verhütung geht uns alle an.
Überfällig – Warum Verhütung auch Männersache ist von Franka Frei – Goldmann Verlag – 288 Seiten – ISBN 978-3-442-31700-4 – Paperback – 17,- Euro – bei Amazon kaufen*
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**Nicht alle Frauen haben Eizellen, einen Uterus und menstruieren, und nicht alle Menstruierende, Ovulierende und Gebährfähige identifizieren sich als Frauen. Um einen einfachen Fließtext zu schreiben, habe ich mich dennoch für den Begriff “Frauen” entschieden.