Mit dem Begriff Achtsamkeit haben manche Menschen so ihre Probleme. Mir ist natürlich bewusst, dass dieses Wort mittlerweile sehr inflationär genutzt wird, tatsächlich reicht die Tradition aber weit zurück. In der westlichen Welt ist das noch nicht so, weshalb oft von einem Selbstoptimierungswerkzeug gesprochen wird, das im Dienste des Kapitalismus unterwegs ist. Tatsächlich liegen die Ursprünge jedoch im Buddhismus. Das Wort “Achtsamkeit” ist eine Übersetzung des Pali-Wortes sati und des Sanskrit-Wortes smrti und bedeutet so viel wie erinnern. Spezifisch: Sich zu erinnern, in den gegenwärtigen Moment zurückzukehren.
In ihrem Buch “Eins mit allem” schreibt Main Huong Nguyen über drei Wege, wie uns ein achtsames und bewussteres Leben gelingen kann. Die psychologische Psychotherapeutin ist selbst Buddhistin und liefert in ihrem Buch sehr viele anschauliche und praktische Beispiele für alle Bereiche. Auch ich selbst habe viel für mit mitgenommen und gelernt und mein eigenes Bewusstsein nochmal geschärft. Eine Achtsamkeitspraxis hat viele Vorteile.
Drei Wege in dein achtsames und bewusstes Leben
Das Buch ist in drei zentrale Kapitel unterteilt. Es geht darin nicht nur um Achtsamkeit mit sich selbst. Wie zum Beispiel wie wir es schaffen achtsamer und nachsichtiger mit uns selbst umzugehen und zu erkennen was wir gerade brauchen. Sondern auch um Achtsamkeit mit anderen. Dabei lernen wir, wie wir in unseren Beziehungen einen achtsameren Umgang finden können. Und Achtsamkeit mit allem befasst sich mit unserem Umgang mit unserer Umwelt und Umgebung. Dabei sind alle drei Teile miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Eben wie der Titel bereits verrät: Eins mit allem.
“Achtsamkeit ist das Gewahrsein dessen, was in uns und um uns herum im gegenwärtigen Moment geschieht. Sie erfordert ein Innehalten, tiefes Schauen und Erkennen sowohl der Einzigartigkeit dieses Moments als auch seiner Verbindung zu allem Vorausgegangenen und allem Zukünftigen.”
Achtsam mit mir
Wir wissen eigentlich alle, dass wir nun diesen einen Körper haben. Wir wissen, dass wir achtsam und fürsorgend mit ihm umgehen sollten. Und trotzdem fällt es vielen Menschen schwer, ihrem Körper zuzuhören und wahrzunehmen was er braucht. Warnsignale hören wir häufig erst, wenn es schon viel zu spät ist. Wenn Migräne, Schlafstörungen oder chronische Schmerzen uns bereits fest im Griff haben. Unsere täglichen Verpflichtungen und Aufgaben lenken uns ab, wir sind häufig im außen. Doch auch in sehr stressigen Phasen sollten wir innehalten und unserem Körper unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Insbesondere in Stresssituationen schaltet der Körper oft in den Autopilotmodus und funktioniert nur noch. Umso wichtiger ist es, eine Achtsamkeitspraxis verinnerlicht zu haben, die man in diesen Momenten abrufen kann.
Mit Dankbarkeit bewusst wertschätzen was ist
Ein erster Schritt kann eine regelmäßige Dankbarkeitspraxis sein. Hast du schon einmal darauf geachtet, wie oft am Tag du das Wort “Danke” aussprichst? Wahrscheinlich gar nicht so selten. Hast du aber auch schon mal darüber nachgedacht, wie bewusst du dich eigentlich bedankst? Damit meine ich nicht, dass du undankbar bist. Aber wenn du wirklich ehrlich zu dir selbst bist, dann verwendest du “Danke” bestimmt auch oft aus reiner Gewohnheit oder “weil es sich eben so gehört”. Die Frage ist: Spürst du auch bewusst Dankbarkeit, wenn du dieses Wort aussprichst? Mach dir ruhig mal bewusst darüber Gedanken. Die Antwort darauf kann durchaus spannend sein.
Im stressigen Alltag fehlt oft das Bewusstsein für den Moment. Wir rasen durch unseren Tag, haben keine Zeit für Pause, fühlen uns schnell unter Druck, sind genervt, wenn die Person an der Kasse vor uns ein wenig länger braucht. Wenn du dich das nächste Mal in dieser Situation befindest, dann versuche bewusst einen Schritt zurückzutreten und achtsam wahrzunehmen. Bleibt wirklich keine Zeit für Pause? Ist es wirklich so tragisch, wenn du fünf Minuten länger an der Kasse stehst? Hast du wirklich keine Zeit einfach mal ruhig zu atmen und vielleicht in den Himmel zu schauen?
Um deine Dankbarkeit ein wenig zu schulen, kannst du dir vornehmen in der kommenden Woche mehr darauf zu achten, warum und wann du Danke sagst. Die Autorin nennt im Buch einige tolle Beispiele, die wie folgt aussehen:
- An der Supermarktkasse: “Vielen Dank, dass Sie gerade so geduldig mit mir waren, als ich mein Kleingeld zusammengesucht habe.”
- In der U-Bahn: “Vielen Dank, dass Sie gerade noch die Tür aufgehalten haben, damit ich die Bahn noch erwische. Das ist nicht selbstverständlich.”
- Im Bus (an den Busfahrer): “Herzlichen Dank, dass Sie so vorsichtig fahren und mich sicher ans Ziel bringen. Ich wünsche Ihnen noch einen wundervollen Tag.”
- Lieben Menschen: “Vielen Dank, Mama/Schwester/Freundin, dass du bemerkt hast, dass es mir nicht so gut geht und mich mit x überrascht hast. Ich fühle deine Liebe und Fürsorge.”
Wenn du diese Dankbarkeit aussprichst, wirst du feststellen, dass viele Menschen sehr überrascht sind und sich zugleich unglaublich freuen. Denn du signalisierst damit “Ich sehe dich” und wir alle freuen uns darüber, wenn das passiert. Zudem potenzierst du deine eigene Dankbarkeit und fühlst dich noch besser. Das Lächeln deines Gegenübers verstärkt dein positives Gefühl und wird es nachhaltig nähren. Du hast diesen magischen Moment bestimmt auch schon selbst erlebt. Wenn du einer anderen Person zum Beispiel ein Kompliment machst und diese sich sehr darüber freut, dann freust du dich selbst automatisch mit. Oder?
Sei dir selbst dankbar
Uns bei anderen Menschen zu bedanken ist in gewisser Weise schon eine Routine. Aber wie sieht es mit Dankbarkeit dir selbst gegenüber aus? Ein Dankbarkeitstagebuch kann dabei helfen, eine gewisse Routine zu entwickeln und Dankbarkeit bewusst zu üben. Drei Fragen können dabei behilflich sein:
- Ich: Wofür bin ich mir selbst/meinem Körper dankbar (Eigenschaften, Körperfunktionen…)?
- Du: Wofür bin ich meinen Liebsten dankbar (Familie, Freund:innen…)?
- Wir: Wofür bin ich meiner Umwelt dankbar (Arbeitsumfeld, Kolleg:innen, Natur, Tieren, Supermarktkassiererin…)?
Als ich diese Übung zu Beginn einmal probiert habe, fand ich es gar nicht so leicht. Doch umso häufiger man etwas notiert, umso klarer wird es. Es müssen auch keine großartigen besonderen Dinge sein. Auch scheinbar unscheinbare Momente können uns mit großer Dankbarkeit erfüllen. Hier ein paar Beispiele:
- Ich: Dankbarkeit für… Gesundheit / Beine, die durchs Leben tragen / Stärke / meine mitfühlende Ader / mein Talent, gutes Essen kochen zu können / die Tatsache, dass ich atmen kann.
- Du: Dankbarkeit für… meine Eltern, die für mich da sind / meinen Partner, der mir morgens einen Tee/Kaffee ans Bett bringt / meine Kinder, die ich liebe / meine Freundin, die mir Mut macht und immer ein offenes Ohr hat / meine Freundin, die erkennt, wenn es mir schlecht geht und da ist.
- Wir: Dankbarkeit für… unterstützende Kolleg:innen, die einspringen, wenn ich krank bin / meine verständnisvolle Chefin, die mir ein offenes Ohr geschenkt hat / den Briefträger, der meine Pakete bei jedem Wetter zustellt und immer freundlich ist / den Busfahrer, der extra auf mich gewartet hat
Stell dir vor, dass du einen Dankbarkeitsmuskel hast. Wenn du diesen regelmäßig trainierst, wird er immer kräftiger und stärker. Das wiederum hilft dir dabei noch positivere Emotionen zu erleben und die negativen zu reduzieren.
Achtsamkeit im Arbeitsalltag
Am Arbeitsplatz treffen Menschen mit vielen verschiedenen Bedürfnissen, Erwartungen, Wünschen, Gefühlen, Gewohnheiten und Macken aufeinander. Es gibt Besserwisser, Schüchterne, Dominante, People-Pleaser – und man muss irgendwie miteinander zurechtkommen. Es erleichtert den Arbeitsalltag zumindest sehr, wenn man versucht Verständnis füreinander zu entwickeln.
Achtsamkeit im Arbeitsalltag ist aber gar nicht so leicht. Wie oben schon erwähnt, kommt gerade hier der Autopilotmodus häufiger zum Zug. Ist es besonders stressig, dann machen wir vielleicht besonders viele Überstunden, ignorieren unsere Bedürfnisse, ignorieren Erschöpfungssymptome und lassen die Pause ausfallen. Wenn jetzt noch eine Kollegin mit einem Anliegen auf uns zukommt, reagieren wir möglicherweise abweisend, streng oder vielleicht auch patzig.
Insbesondere Pausen sind immer wieder ein Thema. Grundlegende Bedürfnisse wie Essen, Trinken oder der Gang auf die Toilette, werden von vielen ewig ignoriert oder aufgeschoben. Dabei sind Pausen wichtig. Mach dir Gedanken, wie du regelmäßige Auszeiten in deinen Arbeitsalltag einbaust. Vielleicht wäre es hilfreich, einen Timer auf dem Handy zu stellen. Alle 45 Minuten legst du ein paar Minuten ein, stehst vom Platz auf, trinkst ein Glas Wasser oder machst ein paar Dehnübungen. Viele kurze Erholungsphasen über den Tag verteilt sind nämlich sogar noch erholsamer als eine große Pause.
Das Buch
Mit vielen tollen Ansätzen, Übungen und Fallbeispielen liefert die Autorin ganz viel anwendbares Wissen zum Thema Achtsamkeit und schenkt einen kleinen Wegweiser zu mehr Bewusstheit. Das Buch habe ich unglaublich gern gelesen und viel für mich mitgenommen, obwohl mir die Thematik nicht fremd war. Insbesondere auch die Meditationen und Audio-Downloads waren für mich eine tolle Ergänzung und liefern echten Mehrwert. Wenn du ein gutes Buch für achtsameres und bewussteres Leben suchst, dann solltest du hier unbedingt mal reinlesen.
“Eins mit allem” von Main Huong Nguyen – Herder Verlag – 256 Seiten – ISBN 978-3-451-60123-1 – Klappenbroschur – hier kaufen*
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