‚Wir müssen über Kevin reden‘ von Lionel Shriver

von Petzi

INFO

Wir müssen über Kevin reden von Lionel Shriver – Ullstein Verlag – 560 Seiten – ISBN 978 – 3 – 548 282 251 – Taschenbuch – 9,95 Euro

INHALT

Kevin Khatchadourian tötet kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag neun Menschen an seiner Schule und zerstört damit auch das Leben seiner Mutter Eva. In Briefen an ihren Mann tatstet sich Eva an eine Antwort auf die Frage heran, wie es nur soweit kommen konnte. Hat sie ihren Sohn nicht genug geliebt? Hätte eine innigere Beziehung etwas an seiner Entwicklung geändert? Lionel Shriver erzählt aus Sicht einer Mutter, die sich auf schmerzhafte Weise mit Schuld, Verantwortung, Liebe und Verlust auseinandersetzen muss.

MEINE MEINUNG

Lionel Shrivers Erzählweise habe ich bereits schon einmal in „Dieses Leben, das wir haben“ bewundert. Bereits damals war ich von ihrem Talent Worte zu einer unglaublichen Geschichte zu verbinden begeistert. Warum ich nun dieses Buch nicht schon früher gelesen habe, ist mir ein Rätsel. Für mich steigt Lionel Shriver damit in die Liste meiner Lieblingsautoren auf und ich kann nur jedem dieses Buch ans Herz legen.
Kevin Khatchadourian richtet kurz vor seinem 16. Geburtstag ein Blutbad in seiner Schule an und tötet neun Menschen. Innerhalb kurzer Zeit ist das Leben seiner Mutter nicht mehr das, was es zuvor war. Von der Öffentlichkeit aufs Schärfste verurteilt, muss sie sich fragen, ob sie Schuld am Handeln ihres Sohnes hat. Hätte sie ihr Kind mehr lieben sollen?

 

„Es ist immer die Schuld der Mutter, nicht?“ sagte sie sanft und nahm ihren Mantel. „Ein Junge baut Scheiß, weil seine Mutter trinkt oder Drogen nimmt. Weil sie ihm alles durchgehen ließ, weil sie ihm nicht beigebracht hat, was richtig und was falsch ist. Niemand sagt je, weil sein Vater ein Trinker ist oder weil sein Vater nie zu Hause war nach der Schule. Und niemand sagt jemals, dass manche Kinder einfach echt böse sind. Lassen Sie sich nicht die Schuld geben für dieses Gemetzel.“ (S. 236)

 

Lionel Shriver lässt ausschließlich Eva erzählen. In Briefen an ihren Mann Franklin arbeitet sie das erlebte auf. Fängt ganz vorne bei ihrer Liebe an, der Geburt von Kevin, seiner Kindheit und Jugend, bis sie beim berüchtigten Donnerstag landet. Dem Tag, der ihr aller Leben von Grund auf verändern wird. Ihre Erzählweise ist dabei so eindringlich und packend, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag, manchmal aber muss. Sie schafft eine teils beklemmende Atmosphäre, die beängstigend ist. Man wird Kevin ganz sicher mit anderen Augen sehen. Für keinen, der dieses Buch liest, wird er ein netter kleiner Junge sein. Nein, man entwickelt fast so etwas wie Hass und fürchtet sich vor diesem Kind. Man wird als Leser durch eine Achterbahn der Gefühle geschickt und ist sie nie sicher, was man gerade denken oder empfinden soll.

„Kevin, klären die Jungen an deiner Schule ihre Streitereien noch mit altmodischen Schlägereien?“ Kevin blieb stehen und schaute mich an; er musste immer erst abwägen, ob meine Fragen eine Antwort wert waren. „Die Wahl der Waffen“, sagte er schließlich, „ist die halbe Schlacht.“ (S.366)

 

Kevin entspricht nicht dem typischen Bild, das man von einem Amokläufer hat. Wen es denn so ein Bild gibt. Er ist intelligent, gebildet, kommt aus einem reichen Elternhaus. Sein Vater vergöttert ihn. Doch mit Eva sieht es anders aus. Eva wollte dieses Kind nicht, war unglücklich über die Schwangerschaft, war nicht erfreut, als das Kind endlich da war. Interessant der Ansatz, ob dieses Erlebnis Kevin zu dem werden ließ, der er am Ende ist. Inwieweit prägen Erlebnisse aus der frühsten Kindheit?
Eva versucht sich nicht, für die Tat ihres Sohnes zu entschuldigen. Sie stellt lediglich fest, dass die Schuld immer zuerst bei der Mutter gesucht wird. Auch wenn das manchmal unberechtigt sein mag. Ihr Umgang mit der Tat und mit der Liebe zu ihrer Familie ist dabei eindringlich und ganz oft auch schmerzhaft.
Die Protagonisten, insbesondere Kevin, sind der Autorin herausragend gelungen. Die ganze Handlung über bleibt er den Lesern, aber auch seiner Mutter über immer verschlossen. Ein Geheimnis, das man nicht durchschauen kann. Nur ganz selten fällt die Maske. Das sind Momente, die man fasziniert verfolgt. In denen man sich ein anderes Bild macht und auch ein klein wenig beginnt manches zu verstehen.
FAZIT
Lionel Shriver hat mit „Wir müssen über Kevin reden“ ein wahres Meisterwerk abgeliefert, das zutiefst verstörend und beklemmend ist, den Leser aber keine Sekunde loslassen wird. Literarisch auf höchstem Niveau, ist es eine große Freude ihre Worte zu lesen. Jeder, der noch keine Bücher von ihr kennt, sollte das unbedingt ändern.

5/5 Punkten

We need to talk about Kevin wurde 2011 übrigens auch mit Tilda Swinton in der Hauptrolle verfilmt und hat auf den Filmfestspielen in Cannes zahlreiche Preise gewonnen.

Einen Trailer zum Film, findet man u.a. hier >> Trailer

 

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10 Kommentare

Jasi Ich 16/02/2014 - 17:30

Hallo (:
Das Buch klingt echt richtig interessant und obwohl es etwas anderes ist als ich sonst lese setzte ich das Buch auf jeden Fall auf meine Wunschliste.
Tolle Rezension!
Liebe Grüße,
Jasi ♥

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Jimmy Krümel 16/02/2014 - 18:01

Wie witzig.. es ist zwar schon Ewigkeiten her, dass ich das Buch damals gelesen habe, aber erst vor wenigen Tagen habe ich es einer Freudnin wärmstens ans Herz gelegt. Ich konnte gar keine Worte finden, um meine Begeisterugn, die ja nun wirklich schon Jahre zurück liegt, zum Ausdruck zu bringen – und normalerweise fällt mir so etwas nicht schwer^^ Und nun kommst du daher und rezensierst es auch noch so fabelhaft! Wunderbar .. du sprichst mir wahrlich aus der Seele ♥
LG Jimmy

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Büchernische 16/02/2014 - 18:21

Huhu liebe Petzi,

wir haben uns ja schon über Buch und Film unterhalten und ich muss ehrlich zugeben, dass ich jetzt verflixt neugierig auf beides geworden bin. Die Thematik ist ja leider Gottes immer wieder aktuell, auch Jodi Picoult hat sich mit Ähnlichem beschäftigt. Deine Begeisterung ist ansteckend, weißt du das? Auf der Wunschliste notiert!

Liebe Grüße und einen guten Wochenstart! ♥
Sandra

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Barbara N. 16/02/2014 - 18:26

Tolle Rezension. Ich habe das Buch auch schon mal vor einigen Jahren gelesen. Ich war damals auch total ergriffen vom Roman. Die Thematik ist schockierend, aber leider auch aktuell. Der Roman hat mich noch Wochen nach dem Lesen nicht aus der Ruhe gelassen, so sehr hatte mich der Inhalt mitgenommen.

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Martinas Welt 16/02/2014 - 18:31

Das Buch liegt noch auf meinen sUB und sollte endlich gelesen werden!!! Ich habe es einmal als Mängelexemplar erstanden!
Liebe Grüße
Martina

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Nici 17/02/2014 - 12:51

Klingt interessant. Ich kenne weder das Buch, noch den Film. Ich glaub das kommt direkt auf meine eBook-Wunschliste.

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birtheslesezeit 17/02/2014 - 13:39

Ich kenne bisher noch kein Buch von Lionel Shriver, aber „Wir müssen über Kevin reden“ hört sich sehr interessant an und regt sicherlich zum Nachdenken an. Es passt zu dem gerade von mir gelesenen Buch „Der Tag wird kommen“, das sich mit einem sehr ähnlichen Thema befasst. Werde mir Lionel Shriver und dieses Buch unbedingt merken und Ausschau danach halten – Danke für diese Rezension :-).

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Olivia Plep 18/02/2014 - 17:41

Auch ich bin total begeistert – wenn man im Zusammenhang mit einem solchen Thema überhaupt davon sprechen kann – von diesem Buch! Wahnsinn….ich fand es so schockierend ….und so überzeugend! Vielleicht magst Du ja mal meine Rezension dazu lesen?
http://lesen-und-mehr.blogspot.de/2013/01/wir-mussen-uber-kevin-reden-von-lionel.html
LG
Olivia

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Melissa 18/02/2014 - 20:34

Den Trailer zum Film habe ich mal gesehen und fand ihn sehr interessant aber auch so beklemmend, dass ich mich nie getraut habe ihn anzusehen. Aber deine Rezension macht mich wieder neugierig. Vielleicht wäre das Buch etwas für mich.

Antworten
Méditerranée 20/02/2014 - 10:50

Ich habe das Buch auf meinem SUB und schon versucht es zu lesen aber ich finde das Thema so heftig und bedrückend dass ich nicht weiterkam. Aber ich werde bald wieder versuchen.
Lg

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