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Mitten in der Nacht geht im Wald bei Ruppertshain ein Wohnwagen in Flammen auf. Aus den Trümmern wird eine Leiche geborgen. Oliver von Bodenstein und Pia Sander vom K11 in Hofheim ermitteln zunächst wegen Brandstiftung, doch bald auch wegen Mordes. Kurz darauf wird eine todkranke alte Frau in einem Hospiz ermordet. Bodenstein ist erschüttert, er kannte die Frau seit seiner Kindheit. Die Ermittlungen führen Pia und ihn vierzig Jahre in die Vergangenheit, in den Sommer 1972, als Bodensteins bester Freund Artur spurlos verschwand. Ein Kindheitstrauma, das er nie überwand – und für viele Ruppertshainer eine alte Geschichte, an die man besser nicht rührt. Es bleibt nicht bei zwei Toten. Liegt ein Fluch über dem Dorf?
Ein Dorf schweigt
Nele Neuhaus‘ Bücher gehören seit langer Zeit zu meinem festen Leseplan. Immer dann, wenn ein neues Buch von ihr erscheint, muss es sofort bei mir einziehen. Mit den letzten Büchern hat sie mich aber leider immer mehr enttäuscht. „Im Wald“ sollte nun die letzte Chance sein, bevor ich die Reihe endgültig zur Seite legen wollte. Glücklicherweise ist mit diesem Buch auch ihre alte Form zurückgekehrt und sie hat mich, mit wenigen Kleinigkeiten ausgenommen, absolut begeistert.
Bei „Im Wald“ geht es schnell Schlag auf Schlag. Auf einem Campingplatz brennt in der Nacht ein Wohnwagen komplett aus, in den Trümmern wird eine Leiche entdeckt. Schnell steht fest, dass der Mann zuvor ermordet wurde und der Brand kein Unfall war. Wenige Zeit später wird eine totkranke Frau in einem Hospiz ermordet und Oliver von Bodenstein ahnt, dass dies kein Zufall war und beide Fälle miteinander in Verbindung stehen. Auch wenn er es sich nicht eingestehen mag, ist auch seine eigene Vergangenheit eng mit den Fällen verbunden. Dies ist damit Bodensteins persönlichster Fall.
Gleich zu Beginn findet man ein umfangreiches Personenregister und beim ersten aufschlagen war ich über die Menge an Protagonisten schon leicht erschrocken. Im Lauf der Handlung stellt sich heraus, dass die Menge an Personen unbedingt nötig war. Dennoch ist es durchaus manchmal so, dass man als Leser kurze Zeit den Überblick verliert und nochmal genau nachdenken bzw. nachlesen muss, wer denn jetzt zu wem gehört.
Schauplatz ist Bodensteins Heimatdorf im Taunus, in dem jeder jeden kennt und die meisten sogar über mehrere Ecken miteinander verwandt sind. Die Dorfgemeinschaft teilt eine Vergangenheit und doch schweigen alle. Unausgesprochene Wahrheiten und Lügengebilde lassen sich zwar viele Jahre aufrechterhalten, stellen die Betroffenen aber auf eine harte Probe. Viele brechen irgendwann unter der Last ihrer Schuldgefühle zusammen. Nele Neuhaus beschreibt das Dorfleben auf exzellente Art und Weise. Jeder der selbst auf einem Dorf aufgewachsen ist oder dort noch lebt, wird wissen was ich meine. Die Ermittler stehen lange vor einem Rätsel und können dies nur Stück für Stück lösen. Möglich ist dies auch, weil Bodenstein selbst in diesen Fall involviert ist. Ein Ereignis aus seiner frühsten Kindheit hängt unmittelbar mit dem Fall zusammen und führt letzten Endes auch dazu, dass Pia Sander die Leitung der Ermittlungen übernimmt.
In Bodensteins vorerst letztem Fall tobt sich die Autorin auf fast sechshundert Seiten noch einmal richtig aus und schafft es daher auch nicht ganz ohne Längen auszukommen. Aufgrund ihrer atmosphärisch dichten Erzählung, ihrem unglaublich guten Schreibstil und den zahlreichen Wendungen hat sich es aber geschafft mich so gut zu unterhalten, dass ich über kleine Längen ohne Probleme hinwegsehen konnte. Die persönliche Note und die Nahbarkeit von Oliver von Bodenstein haben mir in diesem Buch besonders gut gefallen.
Trotz der Fülle an Protagonisten schafft sie es auch hier einzelne Charaktere besonders herauszuarbeiten und bringt viele Emotionen ins Spiel. Besonders bei Oliver von Bodenstein gut erkennbar, wenn alte Wunden wieder aufbrechen und er ein nie verarbeitetes Trauma aus der Kindheit wieder durchlebt. Aber auch der Gewissenskonflikt mancher Bürger wird immer deutlicher. Man merkt, dass viele mehr wissen, als sie zugeben möchten. Dank vieler Wendungen und falscher Fährten schafft es die Autorin auch, die Spannung die ganze Handlung über aufrecht zu erhalten und den Leser gut zu unterhalten.
Neueinsteiger werden dieses Buch sicherlich genauso gut lesen können, dennoch würde ich in der Reihe persönlich etwas früher ansetzen um das Ermittlerteam langsam kennenzulernen. Wer die Nele-Neuhaus-Bücher sowieso schon mag bzw. auf der Suche nach einem gut erzählten Krimi ist, der sollte sich dieses Buch aber unbedingt näher anschauen.
Fazit
Für mich ist „Im Wald“ seit Langem eines ihrer besten Bücher. Fans der Reihe sollten dieses Buch unbedingt lesen und auch für andere lohnt sich ein Blick. Ein spannender und wendungsreicher Fall und der fesselnde Schreibstil haben mich überzeugt.
5/5 Punkten
Im Wald von Nele Neuhaus – Ullstein – 560 Seiten – ISBN 978 3 550 080 555 – Hardcover – Teil 8 der Reihe um Bodenstein und Sander – 22,- Euro – bei Amazon kaufen* | im Buchhandel kaufen
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9 Kommentare
Also ich liebe ja auch die Krimis von Nele Neuhaus und war vom Krimi „Im Wald“ mehr als begeistert.
LG Sheena
Liebe Petzi,
das klingt ja gut! 🙂
Ich war vor einiger Zeit schon nicht mehr so überzeugt von ihren Büchern, aber das hört sich ja nach einer positiven Weiterentwicklung an.
Dann werde ich mir das Buch mal auf die Wunschliste schreiben.
Liebe Grüße
Ramona
Hallo Petzi,
vielen Dank für die tolle Rezension.
Würdest du das Buch auch Neuhaus-Neulingen empfehlen oder sollte man die Vorgänger gelesen haben?
Liebe Grüße
Mona
Ich würde immer dazu raten, die Bücher der Reihenfolge nach zu lesen. Nele Neuhaus lässt immer wieder in irgendeiner Form alte Fälle einfließen, geht auf Vergangenes ein und oft tauchen Charaktere aus früheren Büchern wieder auf. Ich könnte mir vorstellen, dass das einen Neuhaus-Neuling (was ein Wort 😉 ) stören könnte.
Eine schöne Rezension! Mich hat das Buch auch absolut überzeugt, Nele Neuhaus in Bestform.
Nur manchmal hatte ich das Gefühl, dass Nele Neuhaus sich bei der Fülle an Charakteren hier und da bei den Alterstrukturen etwas verrant hat, mir kam es so vor, als passten manchmal die Altersabstände nicht ganz zusammen.
Mir hat es auch super gefallen, konnte es gestern endlich während einer Zugfahrt beenden. Bin fast ein bisschen traurig, dass es nun vorbei ist …
Hallo Petzi,
Dafür dass du sehr professionell Bücher darstellst und sehr informativ den Leser auf die Geschehnisse vorbereitest, fällt dein Fazit relativ Mau aus. Ich hätte es mir umfangreicher vorgestellt. Stattdessen saugst du dir nur zwei nichtssagende Sätze aus den Finger und stellst dich damit zufrieden.
Ich bin selber Blogger über Literatur und probiere anderen Bloglesern für Literatur zu begeistern. Ich würde mich riesig freuen, wenn eine professionelle Bloggerin wie du einmal auf meinen Blog vorbei schauen würdest und ebenfalls einen kritischen Kommentar abgibst 😉
https://captainbooksweb.wordpress.com/
Hallo Petzi,
ich habe 'Im Wald' als Hörbuch CD gehört. Ich kann Dir leider nicht ganz zustimmen, für mich gehört dieses Hörbuch nicht zur Bestenlisten. Ich fand die Menge an Protagonisten des guten zu viel. Ich konnte die verwandtschaftlichen Verhältnisse gar nicht auseinander halten. Mag sein das ich ein Mann bin, oder daran das es beim Hörbuch in der Regel eher schwieriger ist. In Bezug mit den Neusteigern hast du sicherlich Recht, vorangehen Bücher bringen einem die Kommissare näher. In diesem Buch, fand ich Bodenstein und Kirchhoff (an Sander kann ich mich noch nicht gewöhnen) blass. Auch an Spannung hat es mir gefehlt. Mein Fazit nicht ganz so gut wie die anderen Fälle.
Wunderbar – das hat mich richtig neugierig gemacht! Da werde ich wohl am Montag tatsächlich durch Berlins momentanen Kältesommer zu meinem Lieblings-Buchladen laufen …
Herzlichen Dank und eine sorglose Zeit
Bianka