Eine Reihenhaussiedlung am Waldrand, wie es viele gibt. Im hellsten der Häuser wohnt ein zehnjähriges Mädchen mit seiner Familie. Alles normal. Wären da nicht die Leidenschaften des Vaters, der neben TV und Whisky vor allem den Rausch der Jagd liebt. In diesem Sommer erhellt nur das Lachen ihres kleinen Bruders Gilles das Leben des Mädchens. Bis eines Abends vor ihren Augen eine Tragödie passiert. Nichts ist mehr wie zuvor. Mit der Energie und der Intelligenz einer mutigen Kämpferin setzt das Mädchen alles daran, sich und ihren Bruder vor dem väterlichen Einfluss zu retten. Von Sommer zu Sommer spürt sie immer deutlicher, dass sie selbst die Zukunft in sich trägt, wird immer selbstbewusster – ihr Körper aber auch immer weiblicher, sodass sie zusehends ins Visier ihres Vaters gerät.
Das wirklich Leben von Adeline Dieudonné
Es gibt diese Bücher, die einem sofort ins Auge springen und nur dadurch meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und mein Interesse wecken. Bei „Das wirkliche Leben“ von Adeline Dieudonné war es genauso so und ob meine Erwartungen geweckt wurden, verrate ich euch jetzt.
Auf dem Klappentext wird dieses Buch mit „Sensation aus Frankreich“ oder „Debüt mit erzählerischer Wucht“ betitelt und bei diesen großen Umschreibungen ist auch immer ein wenig Vorsicht geboten. Nicht immer trifft das zu. Dieses Buch hat im Vorfeld bereits polarisiert und ich las unterschiedlichste Meinungen von großer Begeisterung bis hin zu herber Enttäuschung. Bei mir selbst hat es eher gemischte Gefühle hinterlassen, denn ich war durchaus magisch von dieser Erzählung angezogen, habe am Ende dann irgendwie aber auch noch mehr erwartet. Vorneweg muss ich betonen, dass man dieses Buch besser nicht bzw. mit Vorsicht lesen sollte, wenn man Probleme mit der Beschreibung von Tierquälerei hat oder sich auch getriggert fühlt bei der Umschreibung von Gewalt gegen Frauen. Dieses Buch bietet einige Szenen davon. Auch das Cover empfand ich als nicht ganz passend in Anbetracht des tatsächlichen Inhalts. Für mein Empfinden wird damit eine viel positivere Geschichte suggeriert, als sie es tatsächlich ist.
Das Mädchen, dessen Geschichte hier erzählt wird, bleibt das ganze Buch über namenlos. Ihre Kindheit ist geprägt von dem Hass und der Wut des Vaters, die sich immer wieder Bahn bricht und in erster Linie an der Mutter ausgelassen wird. Er liebt nur die Jagd und den Whiskey. Nach einem schrecklichen Unfall ist ihr kleiner Bruder regelrecht traumatisiert und verändert sich täglich zusehends. Er verliert sein Lachen und distanziert sich immer mehr von seiner Schwester. Für sie ist klar, dass „die Hyäne“ von ihm Besitz ergriffen hat. Sie flieht sich in die Wissenschaft, möchte sie doch gerne eine Zeitmaschine erschaffen, um den Unfall ungeschehen zu machen und ihren Bruder damit zu retten.
Mit sehr nüchterner Sprache schreibt Dieudonnè dieses Buch, was mir in Anbetracht der Geschichte sehr gut gefallen hat. Die kurzen Kapitel lesen sich sehr schnell und es wird durchaus ein gewisser Sog erzeugt, dem man sich nicht ganz entziehen kann. Die Gewalttaten des Vaters und das sehr gefühllose Elternhaus machen auf jeden Fall nachdenklich, vielleicht auch traurig, sind allerdings auch leider in einigen Haushalten traurige Realität. Das Mädchen selbst empfand ich als eher schwierigen Charakter. Sie ist stellenweise für mein Empfinden viel zu abgeklärt und selbstsicher für ihr Alter und handelt nicht so, wie sich ein Mädchen von ungefähr 12 bis 14 Jahren verhalten würde. Zumindest für mein Empfinden. Das macht es mir nicht wirklich möglich einen Bezug zu ihr herzustellen. Es gibt da auch noch eine Szene mit dem „Champion“, die ich als völlig unnötig betrachte. Wer das Buch gelesen hat, der weiß, wovon ich spreche.
Dem entgegen steht dann aber wieder die großartige Erzählkunst der Autorin, die es meisterhaft versteht, bestimmte Gefühle und Situationen zu transportieren und mit großer atmosphärischer Dichte schreibt. Das bedrückende Angstgefühl am Esstisch oder die Jagd im Wald habe ich fast so empfunden, als wäre ich selbst dabei gewesen.
Insgesamt kann man sagen, dass mich dieses Buch aber leider nicht längerfristig beschäftigt hat. Vieles davon hat mir gefallen, ich habe es schnell gelesen und fand die Erzählkunst der Autorin wirklich großartig. Sie hat mich aber auch nicht wirklich geschockt oder gar nachhaltig beeindruckt. Es hat nichts mit mir gemacht. Aufgrund der Thematik hat mich dies sogar selbst überrascht, aber irgendwie ist der Funke leider nicht vollständig übergesprungen.
Fazit
Ich habe das Buch gerne gelesen, würde es jetzt aber auch nicht als Pflichtlektüre empfehlen. Ganz besonders nicht, wenn man mit der Beschreibung von Tierquälerei oder Gewalt gegen Frauen ein Problem hat, dann sollte man hiervon vielleicht besser die Finger lassen. „Das wirkliche Leben“ hinterlässt bei mir ein kleines Wechselbad der Gefühle und am Ende die Erkenntnis, dass hier ganz viel Potenzial darin steckt, aber die Handlung für mich leider nicht ganz rund war und ich dem Hype nicht folgen kann.
Das wirkliche Leben von Adeline Dieudonné – aus dem Französischen von Sina de Malafosse – dtv Verlag – 240 Seiten – ISBN 978-3-423-28213-0 – Hardcover – 18,- Euro
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