Wer ist eigentlich Glennon Doyle? Ich wusste es bis dato tatsächlich nicht und habe ganz sicher etwas verpasst. Als ich ihr Buch allerdings bei Rowohlt entdeckt habe, war für mich sofort klar, dass ich es lesen möchte. Schon der Titel sprach mich an und manchmal gibt es diese Momente, in denen man von einem Buch gefunden wird und es lesen muss. Es ist eine Art Therapie, die man beim Lesen durchläuft und man kommt am Ende ganz sicher glücklicher wieder heraus.
Fange an zu leben
Ich liebe es, wenn ich ganz unvoreingenommen an ein Buch rangehen kann. Wenn ich gar nicht so recht weiß, was mich da erwartet, worum es eigentlich geht. Das kann natürlich auch schief laufen, hier aber hat es funktioniert. Dass auf dem Klappentext Reese Witherspoon zitiert wurde, war da nur ein zusätzliches Gimmick. Glennon ist eine sehr spannende und beeindruckende Frau und ich habe persönlich sehr viel für mich mitgenommen. Ich fand es unglaublich spannend zu lesen, welche Botschaften und Erkenntnisse sie über die Jahre gesammelt hat.
Kurz zu ihrer Geschichte: Sie war nicht nur Bulimikerin, sonder später auch Alkoholikerin. War verheiratet und hat drei Kinder. Dann verliebt sie sich in eine Frau und wirft ihr ganzes bisheriges Leben über den Haufen, um nochmal von vorne anzufangen. Das ist kein wirklich linearer Lebenslauf und deshalb ganz besonders spannend.
In diesem Buch erzählt sie also von ihren Erfahrungen, von ihrem Weg zu ihrem bisherigen Leben. Wie sie es geschafft hat, für sich einzustehen, sich für sich selbst zu entscheiden und nicht mehr nur den anderen zu gefallen. Sie erzählt die Geschichte nicht chronologisch, manchmal auch nur in sehr kurzen Kapiteln. Aber aus fast allen konnte ich Botschaften für mich selbst mitnehmen, hatte ziemlich viel Stoff zum Nachdenken und das dringende Bedürfnis, meine Eindrücke und Gedanken auch im Nachgang zu teilen und darüber zu diskutieren.
Ihre Kinder nehmen besonders viel Raum ein und obwohl ich selbst noch keine habe, war ich auch davon überhaupt nicht abgeschreckt. Ganz im Gegenteil. Man hat das Gefühl, hier einer wunderbaren Familie begegnet zu sein, die wahnsinnig wertschätzend miteinander umgeht. Es hat mich begeistert zu lesen, wie die Dinge hier angegangen werden, welche negativen Gefühle auch immer wieder zum Vorschein kommen und wie Glennon damit umgeht.
“Ich weiß, wenn Schmerz und Warten da sind, ist Wachstum schon auf dem Weg. Natürlich hoffe ich auch, dass der Schmerz schnell wieder vergeht, aber ich sitze ihn auf alle Fälle aus, weil ich inzwischen genug Erfahrung damit gesammelt habe, um ihm zu vertrauen. Und weil die, die ich morgen sein werde, so unvorhersehbar und einzigartig ist, dass ich jedes einzelne Teilchen der heutigen Lektion brauchen werde, um sie zu werden. An meinem Badezimmerspiegel klebt ein Zettel, auf dem steht: Fühle. Alles.” (S. 65)
Die Autorin ist sehr gläubig, weshalb auch Gott immer wieder eine Rolle spielt. Nicht so schlimm, dass es mich stören würde, aber ich wollte es dennoch erwähnt haben. Dieses Buch berührt Herz und Seele gleichermaßen und ich kann mir nicht vorstellen, dass man es lesen wird, ohne irgendwas daraus zu lernen. Es beschreibt aber auch, was es bedeutet eine Frau zu sein und enttarnt veraltete Denkmuster. Es geht um Liebe und Vertrauen, Kraft und noch so viel mehr. Man kann es gar nicht ganz in Worte fassen, man sollte es selbst lesen.
Fazit
Dieses Buch lässt einen nicht kalt, auch dann nicht, wenn man mit der Autorin nicht in allen Punkten konform geht. Es berührt auf eine ganz besondere Art und Weise, regt zum Nachdenken an, bietet guten Gesprächsstoff, weckt vielleicht auch unangenehme Seiten. Wenn man es aber gelesen hat, dann ist man um so vieles reicher. Ein besonderes Buch und eine große Empfehlung.
Ungezähmt von Glennon Doyle – aus dem Englischen von Sabine Längsfeld – Rowohlt Verlag – 352 Seiten – ISBN 978-3-499-00621-0 – Paperback – 16 Euro