Leda ist fast fünfzig, geschieden, sie unterrichtet Englisch an der Universität in Florenz. Die erwachsenen Töchter sind jetzt beim Vater in Kanada, und Leda muss sich eingestehen, dass sie statt der erwarteten Sehnsucht vor allem Erleichterung empfindet. Den heißen Sommer verbringt sie in einem süditalienischen Küstenort: Bücher, Sonne, das Meer, was könnte friedlicher sein? Am Strand macht sich neben ihr allerdings eine übermütig lärmende neapolitanische Großfamilie breit, darunter eine noch junge Mutter und deren kleine Tochter. Leda beobachtet die beiden über Tage, zunächst fasziniert, wohlwollend. Allmählich aber schlägt ihre Stimmung um, irgendwann folgt sie einem Impuls und tut dem kleinen Mädchen und der Familie etwas Unbegreifliches an. Und wird selber heimgesucht, von lange verdrängten Erinnerungen – an gravierende Entscheidungen, die sie zu treffen hatte, ganz zum Leidwesen ihrer eigenen Töchter …
Ein eindringlicher Roman
Obwohl Ferrante in den letzten Jahren in aller Munde war, habe ich mich nie durchgerungen etwas von ihr zu lesen. „Die Frau im Dunkeln“ interessierte mich dagegen sofort und so bin ich sehr froh, dieses Buch für mich entdeckt zu haben.
Der New Yorker wird auf dem Buchrücken mit den Worten „Nur Ferrante kann so über das weibliche Seelenleben schreiben, mit einer solchen Kraft und Wut, schockierend offenherzig und unbequem direkt.“ zitiert. Dem kann ich mich nur anschließen, denn Ferrantes Worte haben mich tatsächlich sehr begeistert. Bereits nach den ersten Sätzen wusste ich, dass das ein Buch für mich sein wird und es mich so schnell nicht mehr loslässt.
Ich selbst habe noch keine Kinder, weshalb ich es wahrscheinlich noch ein Stück weit anders gelesen habe, als es eine Mutter eventuell tun wird.
Leda ist in keiner Weise eine sympathische Protagonistin. Sie erscheint sehr exzentrisch, polarisiert mit ihrem Verhalten und ihre Handlungsweise ist sogar stellenweise regelrecht bösartig und gemein. Sie wäre keine Person, mit der ich privat befreundet sein wollte. Ferrante geht hier aber noch einen Schritt weiter und traut sich eine Tatsache zu beschreiben, die eigentlich Tabu ist.
Leda hat selbst zwei Töchter, die sie in deren Kindheit verließ und sogar drei Jahre den Kontakt ganz abgebrochen hat. Sie konnte nie die Liebe geben, die Kinder eigentlich brauchen. Die fremde Familie am Strand hält ihr nun den Spiegel vor und zeigt ihr, wie es auch hätte sein können. Dieses Bild entfacht so großen Neid und Eifersucht auf die Situation, dass Leda einem Impuls folgt und dem Mädchen und der Familie Unbegreifliches antut.
Ferrante zeigt aber auch die Zerrissenheit einer Frau, die bemerkt, dass sie ihren Kindern keine gute Mutter war und auch selbst nicht in großer Geborgenheit aufgewachsen ist. Lag es vielleicht auch daran? Schwierig das festzustellen, dennoch lässt es auch Raum für den Leser hier zu reflektieren und sich über sein eigenes Verhalten Gedanken zu machen.
Fazit
Der Autorin gelang mit „Frau im Dunkeln“ ein eindringliches und intensives Buch, das mich sprachlich sehr begeistert hat. Ein authentischer Blick in das Innerste einer Frau, die mit ihrer eigenen Vergangenheit noch lange keinen Frieden geschlossen hat. Wer um Ferrante bisher einen Bogen gemacht hat, der sollte dieses Buch unbedingt lesen.
Frau im Dunkeln von Elena Ferrante – aus dem Italienischen von Anja Nattefort – Suhrkamp Verlag – 188 Seiten – ISBN 978-3-518-42870-2- 22 ,- Euro
3 Kommentare
Huhu Petzi,
mir hat das Buch auch richtig gut gefallen, besonders wegen der kontroversen Gefühle, die Leda in mir auslösen konnte. Es wird auf jeden Fall nicht mein letztes Ferrante Buch gewesen sein.
Liebe Grüße, Petra
Hey Petzi,
ich weiß dein Beitrag ist schon ein paar Tage alt, dennoch wollte ich mal danke sagen. Habe deinen Post letzte Woche gefunden und wusste sofort ,das Buch ist was für meine Mum. Habe ihr das Buch gekauft und sie ist jetzt schon (nach Seite 40) total begeistert. 🙂
Ich werde jetzt jedenfalls öfters bei Dir hier vorbeischauen, danke.
Danke für deine lieben Worte. Das freut mich wirklich sehr. 🙂