‚Die Vegetarierin‘ von Han Kang

von Petzi

 

Yeong-Hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-Hye beschließt, sich fortan ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. »Ich hatte einen Traum«, so ihre einzige Erklärung. Ein kleiner Akt der Unabhängigkeit, aber ein fataler, denn in einem Land wie Südkorea, in dem strenge soziale Normen herrschen, gilt der Vegetarismus als subversiv. Doch damit nicht genug. Bald nimmt Yeong-Hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmaße an. Sie, die niemals gerne einen BH getragen hat, fängt an, sich in der Öffentlichkeit zu entblößen und von einem Leben als Pflanze zu träumen. Bis sich ihre gesamte Familie gegen sie wendet. 

Intensiv, aufwühlend, provozierend

„Die Vegetarierin“ habe ich gelesen, weil ich in erster Linie wissen wollte, was an dem Buch wirklich dran ist. Wenn die Meinungen so unterschiedlich sind und so kontrovers über ein Buch diskutiert wird, dann reizt es mich am meisten. Ich wollte mir meine eigene Meinung bilden und was kam dabei heraus?
Es gibt immer mal wieder Bücher, bei denen ich es als relativ schwierig empfinde, meinen Eindruck in Worte zu fassen. Dieses Buch gehört auf jeden Fall dazu, weil die Erzählung von Han Kang nicht dem Mainstream folgt, nicht vergleichbar ist und nicht so funktioniert, wie es viele andere Bücher tun.

Erzählt wird die Geschichte von Yeong-Hye, die bisher eine ganz normale und unauffällige Hausfrau war und plötzlich rebelliert, in dem sie nach einem Traum Fleisch und Fisch aus ihrer Küche verbannt und auf alle tierischen Produkte verzichtet. Es gleicht einer regelrechten Obsession und Yeong-Hye magert in kurzer Zeit bis auf die Knochen ab. Erzählt wird das ganze Buch in drei unterschiedlichen Erzählsträngen, die für sich auch alle anderes funktionieren und vom Leser anders wahrgenommen werden. Der erste Erzählstrang ist dabei der, der für mich am realistischsten und interessantesten war. Wie geht Yeong-Hyes Ehemann mit dem plötzlichen Sinneswandel seiner Frau um? Wie reagiert die Familie, als die Tochter nicht das tut, was jeder von ihr erwartet?

„Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie in jeder Hinsicht für völlig unscheinbar. Um ehrlich zu sein, fand ich sie bei unserer ersten Begegnung nicht einmal attraktiv.“ (Seite 7)

Während Yeong-Hyes Ehemann sich immer mehr von ihr distanziert und für ihre Einstellung und ihr Verhalten kein Verständnis mehr hat, ist ihr Schwager magisch von ihr angezogen. So angezogen, dass er sie in den Mittelpunkt einer künstlerischen Videoinszenierung stellt. Letzten Endes kommt es zum Eklat und zum Bruch der Familie.
Yeong-Hyes Schwester In-Hye (Achtung: Namensverwechslung vorprogrammiert!) ist am Ende die Einzige, die sich um ihre Schwester sorgt und kümmert, als diese längst in der Psychiatrie gelandet ist, weil sie sämtliche Nahrung strikt verweigert. Und obwohl dieses Buch nicht einheitlich definiert werden kann, ich stellenweise nicht sicher war, ob ich verstört oder begeistert bin, hat es mich am Ende dennoch überzeugt. Han Kangs schriftstellerisches Talent und ihre Erzählart, ihre einzelnen Worte und viele Sätze haben mich begeistert und mich fasziniert dieses Buch lesen lassen. Übrigens mein erstes einer südkoreanischen Autorin.
Es ist ganz sicher kein Wohlfühlbuch, denn Han Kang fordert den Leser, mutet ihm vieles zu und erzählt radikal und provozierend. Das mögen nicht alle und dieses Buch kann auch sicher nicht in jeder Lebenslage gelesen und verstanden werden. Wenn man es aber zur richtigen Zeit liest, dann ist es erstaunlicherweise ein wahres Lesevergnügen. Anmerken muss ich auch noch, dass dem Aufbau Verlag mit dem Cover ein wahres Meisterwerk gelungen ist. Es nach mehrmaligem Hinsehen sind mir die feinen Details überhaupt aufgefallen, die exzellent zum Buch passen.

Fazit

Dieses Buch ist keine leichte Lektüre und mutet auf seinen wenigen Seiten doch einiges zu. Verstörend und provozierend sind nur einige der zutreffenden Beschreibungen. Wenn man sich aber auf die Handlung einlassen kann, dann könnte man mit einem besonderen Leseerlebnis belohnt werden.
5/5 Punkten
Die Vegetarierin von Han Kang – aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee – Aufbau – 190 Seiten – ISBN 978-3-351-03653-9 – Hardcover – 18,95 Euro – bei Amazon kaufen* | im Buchhandel kaufen
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4 Kommentare

Cara 04/11/2016 - 21:22

Ich finde es auch extrem spannend, wie die Meinungen bei diesem Buch auseinandergehen. (Spannenderweise hat das natürlich auch eine gewisse Parallelität zu Vegetarismus-Diskussionen an sich). Ich war mir zwischenzeitlich nicht mehr sicher, ob ich das Buch noch lesen will, aber deine Bewertung bestärkt mich jetzt doch wieder ein bisschen!
Liebe Grüße an Dich!
Cara

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Jimmy Krümel 13/11/2016 - 21:49

Vielen Dank – ich werde es mir nun auf jeden Fall angucken 🙂

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Nana 24/11/2016 - 19:24

Ich hatte das Buch nun schon mehrere Male in der Buchhandlung in der Hand und hab mich bisher nicht drübergetraut. Aber deine Besprechung hat mich nun wirklich mehr als neugierig gemacht…

Viele LG,
Nana ♥

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Erina Schnabu 07/05/2017 - 18:13

Ich fand das Buch auf eine komische Art sehr beeindruckend. Ich finde jedenfalls nicht, dass es etwas für schwache Nerven war, aber ich habe es gerne gelesen. Es hat etwas sehr düsteres und ich persönlich habe auch Gesellschaftskritik heraus gelesen.

Liebe Grüße,

http://lesenundgrossetaten.blogspot.de/

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