Sie hat sich für Nachtdienste und Wochenendschichten entschieden, für viel Arbeit und noch mehr Verantwortung, für einen Job, der sie fordert – ihr Herz und ihren Verstand. Nicht entschieden hat sie sich für Dienste in ständiger Unterbesetzung, für Bedingungen, die Pflege und Medizin gefährlich und unmenschlich machen. Und doch finden sich Pflegekräfte immer öfter in dieser Situation: Sie arbeiten in einem Gesundheitssystem, das längst selbst dringend Hilfe braucht. In ergreifenden Fallgeschichten aus ihrem Arbeitsalltag, aber auch von Patienten, Hebammen, Auszubildenden und Ärzten macht Franziska Böhler deutlich, wieviel Leid der Kostendruck und der Personalmangel in Krankenhäusern und Altenheimen verursachen. Die Zahlen zum Pflegenotstand hat vermutlich jeder schon mal gehört. Franziska Böhler schildert die Geschichten dahinter. Dabei vergisst sie auch die guten Momente nicht. Momente, die es wert sind, sich trotz allem genau für diesen Beruf immer wieder zu entscheiden.
Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe – trotz allem
Hinter Franziska Böhler steckt das Instagram-Profil @thefabulousfranzi. Hier folge ich ihr schon seit langer Zeit und bin beeindruckt, wie sie immer wieder auf die Misstände in der Pflege und im deutschen Gesundheitssystem aufmerksam macht. Die Corona-Krise hat das nocheinmal verdeutlicht. Franziska Böhler hat sich für die Ausbildung zur Krankenschwester entschieden, als das System noch ein wenig anders funktionierte und der Dienst am Menschen noch im Vordergrund stand. Mittlerweile sind Krankenhäuser größtenteils in privater Hand und darauf ausgelegt Gewinne einzufahren. Das hat Folgen für uns alle.
Ich arbeite selbst im Gesundheitswesen und deshalb sind mir die meisten Dinge, die Franziska in diesem Buch schreibt, nicht wirklich neu. Es hier aber konkret zusammengefasst zu lesen, untermalt mit den passenden Zahlen, schockiert mich dann doch. Es gibt an allen Ecken und Enden Probleme und es ist traurig, dass sich niemand dafür einsetzt, dies zu ändern oder zu verbessern. Zumal es uns alle wohl irgendwann betreffen wird. Manche Frauen möchten vielleicht früher oder später ein Kind und da der Großteil der Kinder immer noch in Krankenhäusern zur Welt kommt, wird man spätestens dann Kontakt damit haben. Es werden wieder mehr Babys geboren, was zum einen eigentlich eine ganz wunderbare Sache wäre, würde dem nicht ein anderes Problem gegenüber stehen. Im Vergleich zum Jahr 1991 ist die Anzahl der Krankenhäuser mit Entbindungsstation und Kreissaal um 43 Prozent gesunken. Waren es damals noch 1186 Krankenhäuser, sind es 2017 schon nur noch 672 Kliniken. Jede dritte Geburtsklinik musste daher mindestens einmal eine Schwangere mit Wehen aufgrund von Personal- oder Raummangel abweisen. Hinzu kommt dann natürlich noch die Problematik, dass aktuell mindestens 2000 Hebammen fehlen und Stellen offen sind.
Diese Probleme kann man so aber natürlich auch auf alle anderen Bereiche im Krankenhaus übertragen. Immer weniger Personal für mehr Patienten, mehr Dokumentationsaufwand und mehr Aufgaben. Aufgrund von Stress und der psychischen Belastung mehr Ausfälle und Krankheit im Team, mehr Schichten, in denen man spontan einspringen muss. Ein Teufelskreis, der anfängt sich immer schneller zu drehen. Wenn man sich für diesen Beruf entscheidet, dann sicherlich auch deshalb, weil man helfen möchte. Helfen kann manchmal auch schon einen Moment Zeit, ein liebes Wort, eine nette Geste sein oder das Gefühl vermitteln, dass man einfach da ist. Wo aber bleibt diese Möglichkeit, wenn man zu Dienstbeginn schon weiß, dass man das Pensum niemals pünktlich bewältigen kann? Es gibt diese Dienste, die ohne Pause ablaufen müssen, in denen man es nicht einmal auf die Toilette schafft. Die Zahl derer, die ihren Job an den Nagel hängen steigt stetig. Diejenigen, die sich dann doch für die Ausbildung entscheiden, hören relativ schnell wieder auf. Der Nachwuchs ist entmutig, das gut ausgebildete Fachpersonal hat keine Lust mehr.
In der Medizin zu arbeiten ist eines der schönsten Dinge überhaupt. Das Gefühl jemanden zu helfen und sei es nur deshalb, weil man ein offenes Ohr schenkt, ist unbezahlbar. Das kann vielleicht nicht jeder nachvollziehen, aber so ist es. Dennoch muss man bei alldem auch an sich selbst denken. An seine eigene Gesundheit und seine psychische Leistungsfähigkeit. Ganz abgesehen vom finanziellen Aspekt, der ganz oft absolut nicht gerechtfertigt ist, wenn man bedenkt, welche Verantwortung auf den Schultern des Pflegepersonals liegt. Ich konnte dieses Buch kaum aus der Hand legen und habe es fast in einem Rutsch gelesen. Eine unglaublich wichtige und aufrüttelnde Lektüre.
Fazit
Wer sich für die Thematik interessiert, der sollte dieses Buch unbedingt lesen. Eine unglaublich aufrüttelnde und wichtige Lektüre, welche die Probleme des deutschen Gesundheitssystems direkt vor Augen führt und klarmacht, was sich dringend ändern sollte. Spannend und toll geschrieben. Eine echte Empfehlung.
I’m a Nurse – Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe – trotz allem von Franziska Böhler und Jarka Kubsova – Heyne Verlag – 256 Seiten – ISBN 978-3-453-60560-2 – Paperback – 12,99 Euro