Man könnte ganz allgemein sagen, dass wir uns zu einer Konsumgesellschaft entwickelt haben. Wir kaufen zu viele Dinge, die wir eigentlich gar nicht brauchen und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Ich auch, denn davon will ich mich hier gar nicht freimachen. In meinem Kopf hat sich dieser Belohnungsmodus viel zu sehr etabliert. Die Rechtfertigung für alle Käufe, die mir kurzfristige Glücksgefühle bescheren und am Ende eigentlich nur Ballast sind.
Als ich „Konsum“ von Carl Tillessen gelesen habe, war das aufrüttelnd und erkenntnisreich. Er schreibt Dinge, die man mitunter weiß, die einem selbst sehr wohl bewusst sind und die man dennoch ganz einfach ausblendet, wenn man mal wieder einen Shoppingtrip plant. Der Autor selbst nimmt sich hier auch gar nicht aus und schreibt ganz klar, dass er auch Teil des Problems ist. Und auch ich gehöre dazu. Denn ja, ich kaufe Dinge, die ich nicht unbedingt brauche. Dinge, die beim Kauf Glücksgefühle erzeugen und Monate später schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Doch warum?
Der Einzelhandel verschwindet
Kleine inhabergeführte Läden mit einer überschaubaren Auswahl schöner Produkte, Tante-Emma-Läden bei denen es einen persönlichen Schwatz mit der Verkäuferin inklusive gibt? All das verschwindet immer mehr von der Bildfläche oder ist gar nicht mehr vorhanden. Global agierende Unternehmen übernehmen die Einkaufsmeilen der Städte und bieten in ihren riesigen Stores ausschließlich Waren der eigenen Marke an. Concept Stores, die sorgfältig kuratierte Produkte unterschiedlichster Marken zusammentragen und damit ein breit gefächertes Angebot erstellen, verschwinden immer mehr. Nicht weil das Konzept schlecht ist, sondern weil sich die wirtschaftlich überlegenen Geschäftsmodelle einfach mehr durchsetzen. Die Covid-19-Pandemie verleiht diesem Prozess leider zusätzlich einen enormen Schub und zwingt viele kleine Händler zur Aufgabe ihrer Geschäfte. Am Ende ist es nun egal in welcher Stadt Deutschlands wir einkaufen, denn die Innenstädte sind immer mit dem gleichen Angebot und den gleichen Waren bestückt. Vielfalt sucht man vergebens. Dieser Trend macht aber auch gar nicht in Deutschland halt, sondern ist ein weltweites Problem. Egal ob Kleidung, Handwerk oder Bücher, alle Sparten sind betroffen.
Woher kommt meine Kleidung?
Was wir bei alldem auch oft vergessen ist die Frage, woher die Kleidung da eigentlich kommt, die bei einer der zahlreichen Modeketten auf dem Kleiderbügel hängt. Warum kaufen wir Shirts für 2,99 Euro? Denken wir wirklich, dass dieses Kleidungsstück unter fairen Bedingungen produziert wurde? Ein Kleidungsstück, das billiger ist, als eine Tasse Kaffee? Mir ist durchaus bewusst, dass Mode nicht für alle Menschen gleichermaßen erschwinglich ist und manche Menschen auf niedrigere Preise angewiesen sind. Muss es aber dennoch so ein billiges Shirt sein? Und was ist mit den Menschen, die sich durchaus etwas mehr leisten könnten und dennoch keinen angemessenen Preis dafür bezahlen möchten? Die Globalisierung macht es möglich, dass Produkte überhaupt zu so unglaublich günstigen Preisen angeboten werden können. Dies wiederum hat zu einer rasanten Beschleunigung des Konsums geführt. Der Konsum von Kleidung hat sich seit 1960 zum Beispiel verneunfacht.
Preis und Wert
Experimente haben bewiesen, dass wir unterschiedlich auf Produkte reagieren, je nachdem wie viel sie kosten. Wird uns beispielsweise erzählt, dass der Wein 80 Euro kostet, schmeckt er uns plötzlich viel besser, als der selbe Wein für 10 Euro. Je billiger die Dinge werden, desto wertloser erscheinen sie und desto achtloser gehen wir damit um. Wertschätzung für die Dinge fehlt, denn alles ist ersetzbar und wenn uns das Kleid nach zwei Monaten eben nicht mehr gefällt, dann kaufen wir ein neues. Früher ermahnte man seine Kinder mit den Spielsachen sorgsam umzugehen und hatte gute Kleidung für den Sonntag, die vorsichtig getragen wurde. Heute kauft man Kleidung explizit für einen Anlass, weil man ja nicht zur Hochzeit des Bruders mit einem Kleid kommen kann, das schon jeder kennt.
Warum kaufen wir?
Für viele Menschen ist Shopping ein Vergnügen. Und ja es stimmt, shoppen kann auf jeden Fall Spaß machen. Es gibt ein kleines Hochgefühl durch die Läden zu schlendern, schöne Dinge zu entdecken und Neues zu finden. Dabei ist es ganz egal, ob man das Produkt tatsächlich braucht oder nicht. Es wird automatisch Dopamin ausgeschüttet und Glücksgefühle werden freigesetzt. Aber das Gehirn gewöhnt sich auch daran, stumpft ab und braucht immer mehr von der Dosis, um das gleiche Glück zu empfinden. Wir kaufen öfter, wir kaufen mehr, um den Pegel zu halten. Und damit auch immer mehr Dinge, die wir eigentlich nicht wirklich brauchen, sondern nur kaufen, damit wir etwas gekauft haben. Hinzu kommt, dass man auch Zeit braucht, um die Dinge zu nutzen. Zeit, um die Handtasche auszuführen, das Buch zu lesen, in die Zeitschrift zu blättern, die Deko zu bewundern, die Schuhe auszuführen. Wir haben aber immer weniger Zeit und immer mehr Dinge, die teilweise ungenutzt und eingepackt zuhause stehen.
Konsum im Netz
Das Netz hat sich zu einer Maschine entwickelt. Nehmen wir unser Handy zur Hand, werden uns permanent Vorschläge von Dingen gemacht, die wir vielleicht brauchen könnten. Anhand unseres Suchverlaufs, anhand Gesprächen die wir führen und Dingen, mit denen wir uns beschäftigen, wird uns eine ganze Bandbreite an Produkten vorgeschlagen, die uns zu unserem Glück noch fehlen. Hinzu kommen die sozialen Netzwerke, die uns mit Bildern inspirieren, aber genauso oft auch dazu animieren etwas zu kaufen. Dinge, die hauptsächlich optisch überzeugen müssen und die auf Fotos gut aussehen. Wenn ein Restaurant erfolgreich sein will, dann sollte es dort natürlich in erster Linie gut schmecken. Wenn die Speisen auf dem Teller aber zudem auch instagrammable angerichtet werden, dann ist das ein großer Erfolgsgarant.
Und dann kommt der Neid
Neid ist kein schönes Gefühl, aber zwangsläufig werden wir diesem wahrscheinlich begegnen. Instagram ist eine der Plattformen, die dieses Gefühl ganz besonders stark triggern kann. Wir vergessen dabei, dass unser Leben eigentlich verdammt gut ist und wir alles haben, weil wir in ständigem Vergleich stehen. Im Vergleich mit großen Influencern, die uns andauernd zeigen und vorleben, was uns zu unserem Glück scheinbar noch fehlt. Ein bestimmtes Produkt, ein besonderes Kleidungsstück und schnell wächst der Wunsch in uns, dieses Teil auch selbst zu besitzen. Damit wir dann vielleicht ebenso schön und erfolgreich sind.
„Seit wir in Echtzeit verfolgen können, wie schön das Leben der anderen ist, werden wir immer unzufriedener mit unserem eigenen.“ S.145
Brauchen wir die Dinge wirklich?
Der Autor schreibt in seinem Buch ganz klar, dass das Wort „brauchen“ natürlich ein dehnbarer Begriff ist. Wenn wir nämlich nur das kaufen würden, was wir wirklich bräuchten, dann wäre die Welt eine traurige Welt. Brauchen wir wirklich Musik? Brauchen wir Literatur? Auf das Überleben bezogen natürlich nicht, aber ohne Kunst wäre es dennoch ein sehr tristes Leben. Wenn uns etwas wirklich Freude bereitet, dann ist das ein sehr guter und schöner Grund es auch wirklich zu kaufen. Wir sollten uns nur angewöhnen uns bewusst diese Frage vor dem Kauf zu stellen. Werden wir den Gegenstand wirklich gebrauchen? Oder kaufen wir nur, um uns jetzt zufrieden zu machen? Nutzen wir das neue Fitnessgerät wirklich? Werden wir das Buch lesen wollen? Wenn wir von vorschnellen Käufen Abstand nehmen und wirklich über die geplante Anschaffung nachdenken, dann tun wir nicht nur Gutes für die Umwelt, sondern auch für unseren Kontostand.
Letztlich haben wir es selbst in der Hand
Menschen konsumieren nämlich zunehmend das, was auch im Internet gut ankommt. Durch unsere Likes können wir das Konsumverhalten der Zukunft beeinflussen und mitbestimmen. Wir zeigen, dass es viel cooler ist Fair Faishon zu tragen oder Second Hand zu kaufen und animieren damit vielleicht auch andere, die sich dazu bisher weniger Gedanken gemacht haben. Jeder Einzelne von uns ist dafür verantwortlich, dass der Konsum in der Zukunft ethisch und gut sein wird. Nehmen wir es in die Hand.
Weiterlesen
Ein guter Anfang ist auf jeden Fall dieses Buch zu lesen. Denn hier begegnest du vielen Fakten, gut recherchierten Tatsachen und wirst ganz sicher an der einen oder anderen Stelle umdenken und eine andere Richtung einschlagen.
Die Pandemie hat uns vorübergehend auf einen kalten Konsum-Entzug gesetzt. Doch sie hat uns nicht geheilt. Wir kaufen einfach immer weiter – auch Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen. Was treibt uns dazu? Und was verändert sich gerade? Trendforscher Carl Tillessen nimmt uns mit hinter die Kulissen einer globalen Maschinerie, deren Erfolg vor allem auf Manipulation und Ausbeutung basiert. Stück für Stück seziert er die psychologischen Mechanismen, die bei uns immer wieder greifen – und schärft dabei unser Bewusstsein: für unsere eigentlichen Bedürfnisse, aber auch für die Bedingungen, unter denen unsere Smartphones und Sneaker entstehen. Denn der Preis, den die Natur und die Menschen in den Produktionsländern für unseren Hyperkonsum zahlen, ist hoch. Doch nie war die Chance, daran etwas zu ändern, so groß wie heute. »Die Frage nach dem Brauchen ist nebensächlich geworden. Das bloße Wollen hat sich zum Motor unserer Wirtschaft entwickelt. Ein Nutzen ist nicht mehr die Voraussetzung für den Erfolg eines Produktes. Im Gegenteil: Ein nützliches Produkt macht uns bestenfalls zufrieden. Aber erst das, was über den Nutzen hinausgeht, der Luxus, macht uns glücklich. Ein Staubsaugerbeutel macht uns keine Freude, eine Duftkerze schon.« Konsum von Carl Tillessen – Harper Collins – 224 Seiten – ISBN 9783959673952 – Hardcover – 15,- Euro |
2 Kommentare
Liebe Petzi,
es ist wirklich schlimm hier auf deinem Blog oder deinem Instagramkanal zu stöbern, denn immer wieder finde ich so Bücher, die mich interessieren und vor allem bei Sachbüchern, die ich wichtig fände zu lesen. Natürlich komme ich mit den ganzen Tipps überhaupt nicht hinterher. Aber auch dieses Buch wird auf meinem Merkzettel einziehen. Das Thema „Konsum“ beschäftigt mich seit einiger Zeit immer mehr. Es begann tatsächlich mit dem Obst und Gemüse im Supermarkt, dass ich mittlerweile regelmäßig schaue, nur wenn unbedingt nötig (also wenn ich es für ein Rezept brauche oder wirklich unbändige Lust drauf habe bzw. es dieses Produkt eben nicht regional gibt) Obst oder Gemüse zu kaufen, das einen langen Weg hinter sich hat. So kamen letztens auch keine Weintrauben aus Namibia und Südafrika ins Körbchen, obwohl sie wirklich gut aussahen und ich Lust drauf gehabt hätte.
Bei Kleidung ist das ein schwierigerer langsamer Prozess. Da versuche ich durch die Pandemie zu überlegen, ob ich das jetzt wirklich brauche, weil man es ja sehr wahrscheinlich erst einmal eh nicht anziehen wird oder so selten, dass das was im Schrank ist, ausreicht.
Deko ist da für mich am schlimmsten und im Gegensatz zur Kleidung während der Pandemie schlimmer geworden. Man ist mehr zu Hause, sieht immer dieselben Wände und möchte doch etwas mehr Veränderung.
Liebe Grüße und Danke für dieses Buch,
Sandra
Hallo liebe Petzi
Ich kann deine Gedanken sehr gut nachvollziehen und unterschreibe alles. Wir haben uns in letzter Zeit auch immer wieder einzelne Bereiche der Wohnung vorgenommen, um auszumisten.
Wir sind beide sehr, sehr sparsam (das kommt noch aus der Studienzeit) und gönnen uns selten etwas und schon gar nicht Dinge, sondern eher mal ein gemeinsamer Ausflug oder ein gutes Essen, aber trotzdem war unsere Wohnung am Überquellen. Das lag vor allem daran, dass wir von unserem Umfeld mit Dingen überhäuft worden sind, die wir aus Höflichkeit angenommen haben (oder damals wirklich brauchten und heute durch effizientere Geräte/nachhaltigere Alternativen ersetzt haben). Das macht die Sache dahingehend einfacher, dass wir eigentlich wissen, dass wir bereits jetzt schon sehr bewusst, saisonal, regional, nachhaltig und secondhand konsumieren, aber das Ausmisten fällt um so schwerer, da wir uns von all den Dingen, die uns von wohlmeinenden und fürsorglichen Menschen geschenkt worden sind, trennen müssen…
Aber: da wir hier in der Region ein tolles Brockenhaus haben und einen Teil auch in der Nachbarschaft, der Familie und dem Freundeskreis weiterverschenken konnten/können, fällt es uns immer leichter. Was aber nach wie vor auch noch ein Punkt ist: das Ausmisten frisst enorm viel Zeit und deshalb haben wir schon vor einiger Zeit begonnen, konsequenter „nein“ zu sagen, wenn uns jemand wieder etwas „andrehen“ will, damit wir gar nicht mehr so grosse Ausmistaktionen starten müssen.
Was du schreibst ist total wichtig (und klar, als Musikerin lebe ich davon, dass Menschen nicht einfach nur konsumieren, was sie zum blossen Überleben benötigen 😉 ) und ich finde es immer wichtig, dass wir Menschen unsere Konsumentscheide länger überdenken. Oft verliert ein Hype oder ein plötzliches „dringendes“ Bedürfnis an Gewicht, wenn man ein wenig länger überlegt. Wenn man dann trotzdem konsumiert und sich etwas gönnt (was auch toll ist, wie ich finde), sollte man sich vor allem fragen, wie nachhaltig und lokal man konsumiert. Wenn man insgesamt weniger konsumiert, kann man ja auch einmal ein wenig mehr Geld für die einzelnen Dinge ausgeben und wenn das immer noch nicht im Budget ist, gibt es ja oft tolle gebrauchte Alternativen.
Was mich nun, nach dem Lesen deiner Rezension noch interessieren würde: was hast du für dich entschieden, wenn es um den Konsum geht? Welche Lehren ziehst du für dich ganz persönlich daraus und wie kannst du diese umsetzen?
Das finde ich immer total spannend 🙂
Alles Liebe an dich
Livia