‘Wie ein Stern in mondloser Nacht’ von Marie Sand

von Petzi

Das Buch liegt auf einem Tisch, daneben Blumen und ein Espresso.Es gibt Geschichten über starke Frauen, die sich gegen Regeln und Konventionen auflehnen und mutig vorangehen, um etwas zu ändern. Hebamme Henni Bartholdy ist wohl eine von ihnen. Im Nachkriegs-Berlin der 50er-Jahre hilft sie Kindern auf die Welt und erkennt sehr schnell, dass dieser Segen nicht für alle Frauen auch wirklich einer ist. Frauen, die von Armut gebeutelt sind und nicht mehr Wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Die unter der Last zusammenbrechen, für alles alleine verantwortlich zu sein.

Autorin Marie Sand zeichnet in ihrem neuen Buch ein eindrückliches und mitfühlendes Bild davon, wie es ist, die Entscheidung zu treffen, für sein Kind nicht sorgen zu können. Doch was tun, wenn der Entschluss feststeht?

Die Geschichte einer heimlichen Heldin

Als eine schwangere Frau droht, ihr Baby nach der Geburt auszusetzen, reift in Henni ein Plan. Die erste inoffizielle Babyklappe, welche die Mutter von der Last und Scham befreien soll und das Kind zugleich rettet. Doch die Hebamme kämpft dabei auch gegen Widerstände und macht sich strafbar. Trotz dieser Tatsache hält sie an ihrem Plan fest. Bedingt auch durch ihre eigenen Erlebnisse in der Vergangenheit, beginnt ein Drama und gleichsam eine Geschichte, die auch von tiefer Liebe erzählt.

Wusstest du, dass die Ablage in einer Babyklappe auch heute zwar straffrei, aber nicht legal ist? Für mich persönlich ein Unding. Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht, ihr Kind in eine Babyklappe zu legen. Diese Handlung ist per se schon mit Scham und Angst verbunden und kriminalisiert diese noch zusätzlich. Wichtig, davon zu erzählen. Denn selbst wenn man nie in die Situation kommt zu überlegen, ob man dieses Kind behalten kann, kann es anderen Frauen sehr wohl passieren.

Insofern hat mir „Wie ein Stern in mondloser Nacht“ durchaus neue Blickwinkel geschenkt, da ich selbst neugierig über die Geschichte zur Babyklappe recherchierte. Sand erzählt in zwei verschiedenen Zeitabschnitten. Die Geschichte rund um Hebamme Henni in den Nachkriegsjahren von Berlin und einen Erzählstrang rund um Liv, eine Journalistin, die in den 2000ern ebenfalls in Berlin lebt.

Laufen beide Erzählungen zu Beginn parallel, wird im Verlauf sehr deutlich, wie diese beiden Frauen zusammenhängen und welche gemeinsame Geschichte sie teilen. Insbesondere Henni und die Anwältin Marta haben mich überzeugt, war sie doch der damaligen Zeit weit voraus und es gefiel mir sehr, welches Bild die Autorin hier gezeichnet und damit auch vermittelt hat.

Eine Geschichte, die aufrüttelt, nachdenklich stimmt und trotz des Themas sehr gut lesbar ist, die eine wichtige Botschaft enthält und neues Bewusstsein schenkt. Die teilweise sogar auf wahren Begebenheiten beruht und zeigt, wie man mutig vorangehen kann und seinen eigenen Werten entsprechend lebt. Schon während des Lesens habe ich mir die Frage gestellt, wie die Autorin wohl auf dieses Thema aufmerksam wurde und welche Intention sie damit verfolgt. Das zu wissen ändert oft mein eigenes Verständnis.

Die Autorin erzählt über ihr Buch

Ich habe bei Marie Sand nachgefragt und tolle Antworten auf wichtige Fragen bekommen. Denn die Autorin hat recht. Kinder sind unsere Zukunft. Und ganz unabhängig ob man selbst Kinder möchte (ich habe selbst bisher keine Kinder und diese Entscheidung steht selbstverständlich jeder Frau frei und nicht zur Diskussion), werden Frauen mit Kindern auf vielen Ebenen benachteiligt. Insbesondere alleinerziehende Mütter stehen am Rand der Gesellschaft und hier muss sich noch viel ändern. Sowohl in gesellschaftlicher, als auch in politischer Hinsicht.

Wie sind Sie auf dieses Thema aufmerksam geworden bzw. wann entstand die Idee, daraus eine Geschichte zu machen?

Marie Sand: Mir liegt das Glück der Kinder am Herzen. Für deren Rechte und Zukunft würde ich jederzeit aufstehen, die Stimme erheben, würde ich demonstrieren, Plakate hochhalten. Und in mir rumort es, wenn junge alleinerziehende Mütter am Rande stehen, erschöpfen an den Aufgaben. Wenn sie nicht wissen, wie sie trotz mehrerer Jobs den Monat überstehen, wie sie ihre Kinder versorgen, gleichzeitig ihr Studium, ihren Beruf voranbringen können. Wenn Alleinerziehende trotz all ihrer Anstrengungen in der Armutsschleife feststecken, an fehlender Liebe durch andere frieren. In der deutschen Sprache gibt es dafür ein Wort, das so traurig wie aufrüttelnd ist: mutterseelenallein.

Dieses Wort fiel mir ein, als ich am Krankenhaus Waldfriede in Berlin vorbeiging und aus den Augenwinkeln ein Schild mit der Aufschrift Babywiege las. Wie von einem unsichtbaren Band angezogen, folgte ich dem Weg auf das Gelände durch den Garten bis zu einer hohen Thuja-Hecke, hinter der sich ein kleiner in der Wand eingelassener Metallkasten befindet. Ich schloss die Augen, sah eindrückliche Bilder. Die ließen mich nicht mehr los. Das war der Start meiner Recherche.

Haben Sie eine Lieblingsfigur im Buch?

Marie Sand: Jede Figur hat ihren eigenen Charakter samt Stärken und Schwächen. Ich kann Hennis Mutter, die hart und auch pragmatisch daherkommt, vor dem Hintergrund ihrer Vergangenheit verstehen. Ich mag Marta, die Anwältin, mit ihrer pointierten, selbstbewussten Art. Dass Liv mit sich und anderen hadert, hat mit dem blinden Flecken am Anfang ihres Lebens zu tun. Meine Lieblingsfigur jedoch ist Henni, die Hebamme. Ihr Weg hat mich tief berührt.

Wenn ich eine Figur entwickele, entwerfe ich deren Vita und Eigenheiten. Dann schreibt diese Figur einen Brief an sich selbst, erzählt von ihren Hoffnungen und Geheimnissen. In dieser Phase können Zeilen einen Sog, einen Rausch erzeugen, können mich überraschen, staunen lassen. Das ist bei Henni geschehen. Ich habe sie am Ende voller Wärme angesehen, habe sie umarmt.

Wie und wo haben Sie für dieses Buch recherchiert?

Marie Sand: Als die Idee zum Buch groß wurde, habe ich mit Hebammen, Ärztinnen, Seelsorgern gesprochen. Ich habe Adoptiveltern gebeten, mir zu erzählen, wie der Moment gewesen war, als sie ihrem Kind zum ersten Mal über den Kopf streichelten und welche Worte sie ganz am Anfang fanden.

Meine Recherche zu den Findelkindern führte mich weit zurück auf der Zeitlinie – bis ins Alte Testament, als Moses auf den Nil in einem Blätterkörbchen schwamm. Ich forschte weiter, landete in der Antike und dann im frühen Mittelalter, als Neugeborene vor den Türen reicher Bürger abgelegt wurden und später in den Drehtüren an Klöstern, Kirchen, Anstalten. Das waren die ersten Babyklappen. Es hat mich zutiefst erschüttert, dass diese Kinder kaum ernährt wurden, sehr früh, sehr hart arbeiten mussten. Sie hatten kein gutes Leben. In der Epoche der Moderne wurde es ruhig um die Babyklappe. In den Jahren nach dem Krieg blieb sie nahezu unsichtbar, sie war verboten. Da beginnt meine Geschichte.

„Wie ein Stern in mondloser Nacht“ überspannt die Zeit der 1950er-Jahre bis ins Jahr 2000. Am 12. September 2000 wird die erste offizielle Babyklappe an einem Krankenhaus in Berlin eröffnet, kurz zuvor in Hamburg am SterniPark. Heute ist das Ablegen der Neugeborenen in der Babyklappe straffrei, aber noch immer ist es nicht legal.

Und die wichtigste Frage: Welche Botschaft möchten Sie mit diesem Buch in die Welt senden?

Marie Sand: Wenn eine Babyklappe nur ein einziges Leben rettet, hat sie ihren Sinn erfüllt. Dann war sie für eine Frau in höchster Not, Angst, Verzweiflung eine sichere Anlaufstelle und für das Neugeborene die Tür zum Leben.

Vielen lieben Dank liebe Marie.

Wenn du eine kurzweilige und gute Geschichte über eine mutige Frau und ein wichtiges Thema lesen möchtest, eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt, die über Verantwortung und Menschlichkeit erzählt, dann solltest du in „Wie ein Stern in mondloser Nacht“ unbedingt mal reinlesen.

Wie ein Stern in mondloser Nacht von Marie Sand – Droemer Knaur – 304 Seiten – ISBN 978-3-426-30910-0  – Paperback – 16,99 Euro – hier kaufen**

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2 Kommentare

Nana 08/09/2023 - 18:25

Liebe Petzi,

das klingt nach einer ganz außergewöhnlichen und augenöffnenden Geschichte. Das Interview hat mich sehr berührt: Marie Sands Botschaften gehen unter die Haut und hallen nach.

Liebste Grüße!
Nana

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Zeilentänzerin 07/10/2023 - 22:17

Hallo =) sehr schöne Rezension! Das klingt nach einer beeindruckenden Geschichte und einer ebenso faszinierenden Persönlichkeit. Auch das Interview danach gefiel mir sehr.

Zeilentänzerin

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