Manchmal lese ich gerne philosophische Texte, weil mich tiefgreifende Gedanken sehr häufig zum Nachdenken anregen. Und Nachdenken tue ich einfach gerne. Eigene Verhaltensweisen und Gedanken hinterfragen, neue Perspektiven zulassen.
Im Frühjahr diesen Jahres war ich in den Bergen und las einen Text, der mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Es ging um die Lotterie des Lebens und genau davon möchte ich dir heute erzählen.
Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon schreibt in seinem Buch “Entspannt euch! – Eine Philosophie der Gelassenheit” (Piper) u.a. darüber, wie man ein sinnerfülltes und glückliches Leben führt. Und zugegebenermaßen gibt es zu diesem Thema wirklich viele Bücher.
Seine Gedanken und Thesen im ersten Kapitel haben mich jedoch dennoch stark zum Nachdenken angeregt. Das möchte ich nun gerne mit euch teilen.
Scham & Stolz
Welches Los wir in der Lotterie des Lebens ziehen hängt von unglaublich vielen Faktoren ab. Faktoren, die wir teilweise überhaupt nicht beeinflussen können.
Kannst du dich noch daran erinnern, wann du zum ersten Mal im Leben Scham empfunden hast? Scham dafür, dass du nicht so schön, klug, erfolgreich oder sportlich warst, wie eine andere Person?
“Scham ist eine Form des Zorns, die sich nach innen richtet. Sie kann dich zu großen Leistungen motivieren, aber auch das glatte Gegenteil bewirken.”
Die Scham ist kein schönes Gefühl. Aus Angst davor zu versagen oder uns zu blamieren, bleiben deshalb viele Menschen unter ihren Möglichkeiten zurück. Lieber gar nicht erst versuchen und sich einem möglichen Misserfolg aussetzen.
Doch das gilt auch für den Stolz. Um dieses besondere Gefühl zu erleben nehmen wir große Anstrengungen in Kauf. Wir arbeiten an uns selbst, an unseren Fähigkeiten, an unseren Talenten. Um besser zu werden, vielleicht auch irgendwann die beste Person in diesem Bereich. Jemand, auf den andere stolz sein können. Auf die wir selbst stolz sein können.
Stolz macht jedoch blind für eigene Fehler. Warum sollte man sich denn auch um Verbesserung bemühen, wenn man sich selbst für etwas Besseres hält?
Hinter Stolz verbirgt sich sehr häufig ein ausgeprägtes Minderwertigkeitsgefühl. Und Menschen die meinen sind sind etwas Besseres, können häufig die beschämende Wahrheit nicht ertragen, dass sie nichts Besonderes sind.
Die meisten Dinge auf die wir im Leben stolz sein können sind jedoch nur von kurzer Dauer. Schönheit ist vergänglich, ebenso wie intellektuelle Brillanz oder Sportlichkeit.
Fotocredits: Isabella Fischer via Unsplash.com
Der Autor schreibt: “Und genau hier liegt das Problem, denn: Je stolzer du auf die Qualitäten bist, über die du heute verfügst, desto größer wird deine Scham sein, wenn sie dir verloren gehen.”
Stolz und Scham sind bestens dazu geeignet unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen zu vergiften. Aus Scham wird schnell Neid und aus Stolz Überheblichkeit. Wir sind eifersüchtig auf die Menschen, die schöner, klüger, erfolgreicher sind als wir und strafen die Menschen mit Verachtung, die es in ihrem Leben nicht so weit gebracht haben wie wir selbst mit unseren Erfolgen.
Schmidt-Salomon schreibt: “Der Kern des Problems besteht darin, dass wir das Wechselspiel von Überheblichkeit und Demütigung so lange nicht überwinden werden, solange wir an den althergebrachten Überzeugungen festhalten, welche besagen, dass wir zu Recht stolz auf eigene Leistungen sein können, und uns zu Recht dafür schämen müssten, wenn wir diese Leistungen nicht erbringen.”
Auf dem Weg zur echten Gelassenheit
Wirklich Gelassenheit werden wir nur finden, wenn wir den Denkfehler an der Sache erkennen. Wir sollten aufhören nur uns selbst die Gründe für unseren Erfolg oder Misserfolg zuzuschreiben.
Unfassbar viele Faktoren hatten Einfluss darauf, dass wir heute an der Stelle stehen, an der wir stehen.
Um am Beispiel der Schönheit zu bleiben. Schönheit ist über weite Strecken nichts anderes als ein Produkt zufälliger Kombinationen von Erbmerkmalen. Niemand kann etwas dafür, welche Erbinformationen bei seiner Entstehung zufällig aufeinandertrafen und laut Autor ist es allein aus diesem Blickwinkel absurd, sich etwas auf sein gutes Aussehen einzubilden.
Selbstverständlich ist unser Können und Sein nicht nur von den Erbinformationen abhängig. Wir haben es in der Hand Dinge zu lernen, uns zu bilden und zu entwickeln.
Aber die Bedingungen zum Start unseres Lebens wiederum hatten wir nicht in der Hand. Wir hatten keine Kontrolle darüber in welcher Zeit wir leben, in welcher Kultur wir aufwachsen, in welchem Milieu wir uns bewegen, in welcher Familie wir großwerden.
Es hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wir wir unser Leben leben können. Es macht einen Unterschied, ob wir in der Akademiker-Familie groß werden, ob man uns als Kind gefördert oder vernachlässigt hat.
Der Autor schreibt: “Wir sollten begreifen, dass jeder von uns nur der sein kann, der er aufgrund seiner Anlagen und Erfahrungen sein muss. Auch du hattest in dieser Hinsicht keine Wahl. Es mag zwar sein, dass du über dein Leben heute in hohem Maße selbst bestimmen kannst, aber das ändert nicht daran, dass dein Selbst in hohem Maße von Faktoren bestimmt wurde, über die du nicht bestimmen konntest.”
Und ja, man kann im Leben hart für eine Sache arbeiten. Auch dann, wenn man nicht reich geboren wurde. Es ist möglich. Fleiß, Ausdauer und ein unbändiger Wille können zum Erfolg führen.
Aber auch Dinge wie Leistungsbereitschaft, Frustrationstoleranz und Selbstdisziplin sind nicht vom Himmel gefallen. Wie viel wir davon haben hängt auch von vielen verschiedenen Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen konnten. Und hängt auch von Zufällen ab, auf die wir keinen Einfluss hatten und haben.
Menschen, denen wir zufällig begegnet sind, Texte, die wir gelesen haben, Musik, die wir gehört haben.
“Wir machen uns viel zu selten bewusst, wie sehr unsere individuellen Eigenschaften von solch zufälligen Faktoren bestimmt sind – und wie leicht es hätte anders kommen können.”
Eine andere Familie oder ein anderer Freundeskreis hätten vielleicht schon gereicht und wir würden heute in einem ganz anderen Umfeld verkehren. Wir dürfen nicht vergessen:
“Mit anderen Anlagen und anderen Erfahrungen wären wir andere Menschen mit anderen Eigenschaften.”
Dankbarkeit üben
Wir sollten daher öfter dankbar dafür sein, dass wir die Dinge haben, die wir haben. Dankbar für die Ereigniskette, die alles in Gang gesetzt hat und uns an den Punkt brachte, an dem wir heute sitzen. Nichts davon ist selbstverständlich.
Und zuletzt möchte ich noch einmal den Autor zitieren: “Wie sehr man dich auch dafür loben mag, der zu sein, der du bist und das zu können, was du kannst, hebe nicht ab, sei bescheiden! Denn letztlich bleibt es dabei: Das Leben ist ein Glücksspiel, eine Lotterie, bei der einige von uns ein Traumlos ziehen, während es andere übel trifft. Wer sich darauf etwas einbildet, hat nur wenig im Leben begriffen.”
Heutiger Impuls:Was machen die Worte des Autors mit dir? Welche Gedanken und Gefühle kommen auf, wenn du das liest? Fühlst du dich vielleicht ein Stück weit auch ertappt? Stimmst du zu? Es ist spannend zu lesen, denn auch ich habe mir damals sehr viele Gedanken dazu gemacht. Am Ende bleibt der Impuls dankbar zu sein. Dankbar für mein Leben, für die Möglichkeiten, für die Zufälle, die mich hierhin geführt haben. Ein Perspektivwechsel ist so wertvoll, denn aus diesem Blickwinkel betrachtet habe ich ganz großes Glück. Glück, das wir alle zu oft nicht zu schätzen wissen. |
Ich wünsche dir Gelassenheit
Vielleicht hat der Text bei dir etwas bewegt, so wie auch bei mir, als ich ihn damals gelesen habe. Ich freue mich, falls ich dich zu einem Perspektivwechsel anregen konnte.
Hab einen wunderbaren Dienstag voller schöner Momente, der nötigen Gelassenheit und der Kraft, das Glück zu erkennen.
Alles Liebe,
Petra