Wie schaffen wir es uns wirklich im Hier und Jetzt aufzuhalten? Das ist eine Frage, die man in zahlreichen Büchern und Artikeln immer wieder nachlesen kann. In unserer schnelllebigen Welt lauern an allen Ecken Ablenkungen und es ist manchmal gar nicht so leicht konzentriert den Moment zu erleben. Oder etwa doch?
Vor einiger Zeit wurde mir eine Story in die Timeline gespült, dessen Botschaft ungefähr wie folgt lautete: “Ich kann euch keine Bilder von meinem Erlebnis zeigen, da ich mich dazu entschlossen habe den Moment zu genießen und nicht darauf zu schauen, welcher Winkel das beste Bild oder Video liefert.”
Darüber habe ich länger nachgedacht. Mein Kopf funktioniert mittlerweile ganz automatisch im Modus Instagram. Ich mache Bilder aus schönen Winkeln, von schönen Motiven, drehe automatisch Videos und denke schon immer darüber nach, für welchen Beitrag man das verwenden könnte. Und ich glaube, dass man ein Stück weit so denken muss, wenn man auf Instagram irgendwie weiterkommen möchte. Und dennoch hat mich dieser Gedanken nachdenklich gestimmt. Bin ich wirklich nie im Moment, wenn ich immer schon an die nächsten Schritte denke?
Im Buch “Der kleine Alltagsstoiker – 10 Gelassenheitsregeln fürs Lebensglück” schreibt Jörg Bernardy (GU Verlag) in einem Kapitel des Buches u.a. über die Magie des Augenblicks. Und er sagt, dass das bewusste Erleben der Gegenwart für die Stoiker zu den wichtigsten Kraftquellen unseres Lebens gehört.
“Richte deine Aufmerksamkeit immer auf das Gegenwärtige, sei’s eine Ansicht, eine Handlung oder ein Ausdruck.” – Marc Aurel
Ein gefühlter Augenblick ist ungefähr drei Sekunden lang. Jede längere Zeitspanne erleben wir schon eher als Momente. Wenn ein Tag 24 Stunden, also 1440 Minuten und wiederum 86400 Sekunden. Wenn drei Sekunden einen Augenblick füllen, dann stehen 28800 Augenblicke zur Verfügung. Wenn wir die Schlafenszeit abziehen, dann bleiben immer noch rund 20000 Augenblicke, die wir wirklich bewusst erleben können.
Diese Menge ist auch der Grund, weshalb wir viele Augenblicke sofort wieder vergessen. Würden wir uns alles merken, wäre der Erinnerungsspeicher unseres Gehirns schon nach kurzer Zeit überlastet.
Unser Bewusstsein hat nun aber die Aufgabe jeden Augenblick zu sichten, die Eindrücke zu filtern und aufgrund dessen zu entscheiden, ob wir diesen Moment speichern oder sofort wieder vergessen.
Unsere beiden Ichs
Der Psychologe Daniel Kahneman spricht in diesem Zusammenhang von zwei verschiedenen Ichs – nämlich dem erlebenden Ich und dem erinnernden Ich.
- Das erlebende Ich ist Teil unseres Bewusstseins. Mit ihm erleben wir den aktuellen Augenblick. Das erlebende Ich nimmt wahr, was wir hören, sehen, riechen, schmecken, aber auch was wir gerade tun, was wir denken, wie wir uns fühlen. Neben Dingen wie Hunger, Schmerzen oder Müdigkeit nimmt dieses Ich auch emotionale Stimmungen wahr, in denen wir uns gerade befinden. Die Summe aller Eindrücke und Erlebnisse verdichten sich dann zu einem einzigartigen Moment.
- Das erinnernde Ich ist ein Teil unseres Bewusstsein. Es speichert unsere Erlebnisse, in dem es diese zu Erinnerungen umwandelt. Dieses Ich filtert alle Erinnerungen, die das erlebende Ich nicht entsorgt hat. So kommt es, dass du dich wahrscheinlich an besonderes einschneidende Erlebnisse gut erinnern kannst, während du jedoch nicht mehr weißt, was du vorgestern am Nachmittag gemacht hast. Weil es wahrscheinlich nichts besonderes war.
Stell dir nun folgende Frage: Wie glücklich und zufrieden bin ich?
Den Unterschied zwischen beiden Ichs wird man bemerken, wenn man sich diese Frage beantworten will. Das erlebende Ich schickt uns eine Momentaufnahme unserer aktuellen Befindlichkeit. Hast du gerade Hunger? Ist dir kalt? Bist du müde? Liest du diesen Beitrag in einer unbequemen Sitzposition? Das erlebende Ich ist ein spontanes Stimmungsbarometer, das sich in kurzen Abständen regelmäßig aktualisiert.
Das erinnernde Ich dagegen kann man befragen, wenn man ein allgemeines Bild erhalten möchte. Es misst weniger aktuelle Befindlichkeiten und viel mehr unsere generelle Zufriedenheit. Es zeigt uns daher, wie zufrieden wir grundsätzlich mit unserem Leben in letzter Zeit sind.
Leider ist es in der Regel so, dass unser erinnerndes Ich im Schnitt zufriedener ist, als unser erlebendes Ich. Das liegt u.a. daran, dass wir dazu neigen vergangene Erfahrungen im Nachhinein schönzufärben. Wir schauen nicht selten durch eine rosarote Brille auf unsere Vergangenheit und sehen im Nachgang vieles besser, als wir es im damaligen Moment wahrgenommen haben.
Fotocredits: Atul Vinayak via Unsplash.com
Warum sollten wir unseren Erinnerungen nicht immer trauen?
Nobelpreisträger Kahneman wurde unter anderem durch die Peak-End-Regel bekannt. Diese besagt, dass wir uns nur an die intensivsten Höhe – und Tiefpunkte erinnern und daran, wie ein Erlebnis geendet hat. Denken wir also beispielsweise an einen Urlaub zurück, dann kommen uns besonderes die intensiven Momente und das Ende in Erinnerung. Die schöne Aussicht ist präsenter, als die stundenlange Hin- und Rückreise.
Unser erinnerndes Ich ist daher nicht besonders zuverlässig, wenn es um die Einschätzung unseres Wohlbefindens geht.
Auf meine eingangs erwähnten Gedanken geht der Autor auch in seinem Buch ein. Er schreibt sehr treffend: “Natürlich ist es verführerisch, die eigenen digitalen Kanäle immer wieder mit den schönsten Highlights zu füttern und unsere intensivsten Momente dazustellen. Das ist sogar identitätsstiftend, keine Frage. Möglicherweise leben wir dann aber nur noch für das Glück des Erinnerns und sind auf ständiger Jagd nach dem nächsten Moment, der zur ausgewählten Erinnerung werden könnte. Dies wiederum ist eine schlechte Voraussetzung für ein gutes Leben, weil wir uns von Highlights abhängig machen.”
“Innere Freiheit und Gelassenheit erreichen wir erst, wenn wir uns von der Bürde der verzerrten Wahrnehmung unseres erinnernden Ichs lossagen.”
Heutiger Impuls
Es kann helfen ganz bewusst auf ein schönes Ende und die Gestaltung intensiver Höhepunkte zu achten. Wir erinnern uns dann nämlich nicht nur diese, sondern erleben sie auch intensiver. Und noch wirkungsvoller ist es, wenn wir uns grundsätzlich mehr auf das Erleben des gegenwärtigen Augenblicks konzentrieren. Jeder Moment kann zum Höhepunkt unseres erlebenden Ichs werden. Wir machen uns frei von der Suche nach einem besonderen Highlight und dem krönenden Abschluss und genießen einfach. |
Konzentriertes Handeln macht den Kopf frei
Es hilft uns sehr, wenn wir jeden Tag ein paar feste Zeiträume einplanen, in denen wir uns komplett auf unsere Handlung konzentrieren. Diese Fokus kann dabei helfen, dass wir uns von belastenden Gedanken und Sorgenschleifen befreien. Regelmäßige Alltagsroutinen, in denen die Gedanken unseren Handlungen folgen (und nicht andersherum) sind unverzichtbar. Konzentrierte Handlungen machen unseren Kopf frei und ermöglichen sofort, die Magie des Augenblicks wahrzunehmen. Achtsamkeit ist hier übrigens das Stichwort.
Die kleinen Dinge nicht aus dem Blick verlieren
Wir vergessen viel zu häufig, dass wir auch mit kleinen Alltagshandlungen in einen Flowzustand kommen können. Ein gutes Leben besteht in erster Linie nicht aus großen Taten, sondern ebenso aus banalen Dingen wie Zähneputzen, den Müll rausbringen, Einkaufen, Kochen, ein gutes Buch oder einen inspirierenden Artikel lesen oder im Garten zu arbeiten.
Kleine Schritte sind wichtig. Zenon von Kition sagte einst:
“Wohlbefinden wird durch kleine Schritte erreicht, ist aber wahrlich keine kleine Sache.”
Genieße die kleinen Momente des Augenblicks
Ich wünsche dir, dass du heute ganz besonders die kleinen Augenblicke genießen kannst und vielleicht in eine Art Flowzustand kommst. Die Schönheit des Lebens liegt nicht nur in den besonderen Momenten wie einem Urlaub, sondern kann sich jeden Tag zeigen. Wir müssen nur genau hinschauen.
Hab einen wunderbaren Freitag mit all den Dingen, die du gerade gebrauchen kannst.
Alles Liebe,
Petra